Dienstag, 27. Juli 2010

Die Angst vor der Freiheit

Erich Fromm schrieb einst, dass die größte Furcht des Menschen, jene vor der Freiheit sei. Und zwar gilt das völlig unabhängig davon, ob jemand für sich den Wert der Freiheit in Anspruch nimmt oder nicht. Es waren nicht selten gerade die großen „Freiheitshelden“, die sie nicht aushalten konnten, als sie sie errangen und ein neues Zwangsystem errichteten. Die ganze Menschheitsgeschichte ist voll von solchen Erfahrungen. Noch nie hat eine Revolution wirklich Freiheit gebracht. Wie auch? Die Angst vor der Freiheit lässt sich nicht durch politische Umstürze erreichen, sondern nur durch die Änderung des menschlichen Wesens selbst. Und hier ist die Kindheit die kritische Phase. „Gebt mir ein Kind bis zum sechsen Lebensjahr, dann könnt ihr es zurück haben.“, hieß es bei den Jesuiten. Bis dahin hat man das Kind ausreichend geprägt, um einen „erwünschten Charakter“ aus ihm zu machen. Wer die Gewalt über ein Kind in den ersten Lebensjahren hat, der besiegelt dessen Schicksal für sein ganzes Leben.

Alice Miller, die große „Kindheitsforscherin“, hat in über zehn Büchern darauf hingewiesen, wie Kinder „geformt“ werden, wie die „schwarze Pädagogik“ ganze Generationen von Menschen untauglich zu Kreativität und Natürlichkeit gemacht hat, wie „Dressur“ wichtiger war, als Glück und das wahre Wesen eines Menschen. Nur leider ist die schwarz Pädagogik noch lange nicht am Ende, im Gegenteil. Zwar hat sich die Gewalt im körperlichen Bereich reduziert, doch die psychische Gewalt gegen Kinder hat in erschreckendem Ausmaß zugenommen. Und das gilt nur für die Länder der westlichen Welt (es ist eine Schande, dass immer noch einige amerikanische Bundesstaaten körperliche Strafen in Schulen erlauben!). Betrachtet man die globale Situation, dann zeichnet sich ein noch weitaus düstereres Bild. Das Leben an sich wird an den meisten Orten der Welt nicht besonders hoch geschätzt und das Leben eines Kindes ist das Geringste von allen. Hier sehen wir deutlich die Perversion dieser Welt: Anstatt das Leben der Kinder als das höchste und wertvollste zu betrachten, wird es mit Füßen getreten. Kranke Seelen entstehen von Generation zu Generation und diese fatale Tradition findet niemals ein Ende, wenn nicht interveniert wird. Und diese Intervention kann nur von außen kommen, beginnend mit der Bewusstmachung des Übels. Die Menschen müssen einsehen, was mit ihnen geschehen ist, als sie Kinder waren und den Schmerz und die Demütigung spüren lernen.

Astrid Lindgren erzählte einmal eine Geschichte von einem Kind, das von seiner Mutter bestraft werden sollte. Es sollte in den Garten hinausgehen, um eine Rute oder einen Stecken zu holen, mit dem ihm der Hintern versohlt werden sollte. Doch das Kind konnte keinen finden, also nahm es einen Stein und gab ihn der Mutter. Das Kind übergab der Mutter den Stein und sagte, sie soll es damit schlagen. Da traten der Mutter die Tränen in die Augen, denn nun wurde ihr bewusst, was sie eigentlich tat. Erst jetzt begriff sie, dass sie dabei war das Kind zu quälen, ihm Schmerzen zu bereiten. So geht es vielen Eltern, die ihre Kinder so bestrafen, wie sie selbst als Kinder bestraft wurden: Ihnen ist nicht mehr klar, dass sie verletzen, sie glauben es sei ein gutes und notwendiges Verhalten. Erst wenn die Gefühle ausgedrückt werden dürfen, die als Kind nicht erlaubt war, dann kann man Heilung erfahren. Es gibt Menschen, die stolz darauf sind, dass sie es geschafft haben nicht zu weinen, als sie als Kinder bestraft wurden (das berühmteste Beispiel dafür ist Hitler). Wie sehr muss ein Kind verformt werden, dass es seine Leben und seine Gesundheit nicht mehr zu schützen versucht und seinen Schmerz nicht mehr ausdrücken möchte? Später kann diese Art von Gefühl gar nicht mehr empfunden werden und das führt nicht selten zu einem Überlegenheitsgefühl (Nietzsches „Übermensch“ lässt grüßen!).

Die schlimmsten Auswüchse sahen wir in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts. Ohne autoritätshörige Erziehung, wären Menschen niemals in der Lage gewesen ihren Verstand auszuschalten und über andere Menschen herzufallen. Bildung nützt in dieser Angelegenheit nichts, denn gerade die Intellektuellen waren oft die fanatischsten Anhänger der Diktatoren. Intelligenz kann nur dann zur Befreiung führen, wenn sie mit Menschlichkeit, mit Werten gepaart wird und diese Werte dürfen nicht korrupt sein. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen: Alle Werte, die der Schöpfung und dem Leben dienen sind gut, alle Werte, die der Zerstörung und dem Tod dienen sind schlecht. Erst wenn Bildung der Befreiung dient und nicht der Aufrechterhaltung der Autorität, dann können wir einen Schritt vorwärts machen.

Nie hat die Gesellschaft das Böse in der Erziehung der Kinder gesucht. Es ist einfach nicht wahr, dass das Böse in der menschlichen Natur zu suchen ist. Und alle Systeme, die dies behaupten sollten von der Welt verschwinden und als das bloß gestellt werden was sie sind: Lügen! Die Ansicht, dass in der menschlichen Natur Böses sei, erschafft damit gerade das Böse, das angeblich immer bekämpft werden muss. Das trifft nicht nur auf politische Ideologien und Systeme zu, sondern auch auf dem Bereich der Religionen. Der Mensch hat das Potenzial böse zu handeln, das heißt aber nicht dass das Böse bereits manifest in ihm wäre. Denn der Mensch kann auch gut handeln. Es kommt darauf an, welche Samen im Geiste eines Menschen genährt werden, davon hängt alles ab!

Gerade auch im religiösen Bereich gibt es eine unglaubliche Angst vor der Freiheit. Manche glauben tatsächlich, sie lästerten Gott, wenn sie ihre Sinne und ihren Verstand gebrauchten und zu Ergebnissen kommen, die von einer der „Heiligen Schriften“ abweicht. Solche Menschen sind so autoritätshörig, dass sie lieber verrückt werden, als wirklich hin zu schauen. Zwei und zwei ist dann auf einmal nicht mehr vier, sondern sieben. Dieses Denken macht dumm und diese Dummheit wird dann auch noch geheiligt, als „Treue“ gegenüber der Gottheit. Hinter vernünftigen Gedanken steckt dann der Teufel, der „Herr der Welt“, Gerade was das Christentum betrifft, ist das ein Unsinn. Ich weiß wenig darüber zu sagen, wie es in anderen Religionen aussieht, aber das Christentum ist mir bekannt, weil ich selbst in einer christlich geprägten Kultur aufgewachsen bin und die Wege und Irrwege derselben untersucht habe. Das Christentum ist im Grunde keine dualistische Religion. Viel mehr hat es die Dichotomie von Gut und Böse überwunden. Die Ansicht es gäbe einen Kampf zwischen Gut und Böse geht nicht auf Jesus zurück, sondern kommt aus dem Manichäismus, der in der Antike sich vom Orient weit bis nach Europa hinein verbreitete und auch das Christentum teilweise unterwandert. Zu glauben der Teufel beherrsche die Welt, ist im Grunde blasphemisch. Gerade wer sich mit dem Christentum auskennt, muss zur Einsicht gelangen, dass das „Werk“ durch Jesus vollendet wurde. Die „Sünde“ der Welt wurde hinweg genommen und zwar nicht nur die „Sünden“, die vor Jesus begangen wurden, sondern ebenso jene, die bis in alle Ewigkeit je begangen werden werden!

Sünde kommt vom Wort „Sund“ und bedeutet Graben oder Trennung. Sünde ist kein Verbrechen, sondern das Nicht-Verbunden-Sein mit Gott. Ein fatales falsches Verständnis des Konzeptes der Erbsünde, hat unendlich viel Leid über den Menschen gebracht. Es zementiert die Ansicht, dass das Böse bereits von Anfang an im Menschen vorhanden sei, also so, wie wenn es bereits im Gencode enthalten wäre. In Wahrheit ist die Erbsünde genau, das was den Menschen von seiner wahren Natur (Gott) trennt, nämlich die korrupte Erziehung, die seit jeher jede menschliche Gesellschaft vergiftet hat. Niemals kann damit gemeint sein, das Kind sei von sich aus von seiner Natur getrennt. Das geschieht erst durch die Formung durch die Eltern und die Gesellschaft. Die Korruption, die vom ersten Lebenstag eines Neugeborenen in sein Leben eingreift, ist die wahre Erbsünde. (Es ist heute auch nicht mehr theologische Lehre zu glauben die Erbsünde alleine würde in die Hölle führen. Die Taufe nimmt die Erbsünde hinweg, doch das nicht-getaufte Kind, das stirbt ist nicht verdammt. Jedes Lebewesen hat seine eigene Chance von Gott bekommen, keines muss für die Sünden der Eltern büßen – Gott ist gerecht, das dürfen wir nicht vergessen!).

Vielleicht besteht für die Menschheit als ganzes wirklich keine Hoffnung darauf, jemals den Genuss der wahren Freiheit zu erleben. Doch für den einzelnen ist dies durchaus möglich, insbesondere in den westlichen Gesellschaften, die einem solchen Bestreben zwar nicht zugeneigt sind, aber trotzdem genug Spielraum bieten, dass der einzelne sein Potenzial finden und ausleben kann. Das sollte Ansporn genug sein, sich seine Kindheit anzuschauen. Der Preis, der zu bezahlen ist, ist gering im Verhältnis zum Lohn, ein wahrhaft selbst verwirklichendes Leben, ein Leben nicht im Haben, sondern im Sein führen zu können!

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