Dienstag, 20. Juli 2010

Das Weltbild des Teilhard de Chardin – Das Denken– Teil 4/6

Sieht man sich den Menschen an, so scheint er ein Tier höchster Güte zu sein. Doch blickt man genauer hin, dann sieht man, wie sehr man ihm damit überhaupt nicht gerecht wird. Mag die DNS des Menschen auch größtenteils mit der des Schimpansen übereinstimmen, so ist der Unterschied im tatsächlichen Verhalten und Erleben weitaus größer als diese kleine Unterschied von 3-5 Prozent. Nur im Menschen hat sich die Innenseite der Materie so verdichtet, dass eine Ichreflexion entstanden ist. Der Mensch weiß nicht nur, dass er etwas weiß, er weiß auch, dass er weiß, dass er weiß! Damit ist der Mensch nicht einfach das höchst entwickelte Tier auf der Welt, sondern etwas komplett Anderes!

Nur im Menschen hat sich der Sprung zum Bewusstsein vollzogen. Allerdings hat der Mensch noch enorme Probleme in diesem „Ich“ seinen Halt zu finden. Ein Großteil der gesellschaftlichen und individuellen Schwierigkeiten geht darauf zurück, dass der Mensch noch nicht weiß, wie er diesen Halt gewinnen könnte. Es scheint ihm so zu sein, dass er von der Welt getrennt ist. Die Ichreflexion führt dazu, dass der Mensch sich selbst als von allem anderen getrennt wahrnimmt und das verursacht unweigerlich Angst. Es scheint so zu sein, dass er in die Welt „hineingeworfen“ wurde, wie es Heidegger ausgedrückt hatte. Tatsächlich gibt es kein Zurück mehr in ein einfacheres Stadium, außer vielleicht der Flucht in die Geisteskrankheit. Die Persönlichkeit entsteht in Wahrheit durch die Personalisierung aller Dinge. Nicht darin, dass der Mensch sich isoliert und eitel oder ängstlich eine Nabelschau betreibt, sondern indem er sich allen Dingen öffnet und sie zu seinen eigenen Macht. So lange der Mensch sich dem Universum als getrennt gegenüber sieht, kommt er sich unendlich klein und unbedeutend vor. Die Gefahr besteht, dass Illusionen und Ersatzhandlungen diese Angst überdecken. Doch gibt es einen gesunden Weg, um das Problem zu lösen und der besteht darin, sich selbst so weit auszudehnen, dass es das gesamte Universum umfasst. In allen Dingen sich selbst zu erkennen, ist tatsächlich die einzige Weise diesen innerseelischen Konflikt zu lösen. Heute steht der Mensch alleine und einzigartig auf der Erde dar. An seiner Wiege standen noch viele animalische Formen neben ihm.

Durch den Menschen hat sich über die Biosphäre eine ganz neue Schicht gelegt, die zwar nicht sichtbar aber durchaus wahrnehmbar ist: die Schicht des Denkens, die überall auf dem Planeten anzutreffen ist. Um den Menschen zu verstehen genügt die Anatomie nicht mehr, dazu braucht man die Psychologie. Die Naturwissenschaften leisten gute Dienste bis zur Stufe des Denkens, doch ab dieser Stufe muss sich die Betrachtung nach Innen, ins innere des Menschen selbst, verlagern. Aus den Lektionen aus der Phylogenese lernen wir, dass sich das Denken des Menschen nicht zufällig ergeben hat, sondern dass es ein planmäßiges Entstehen war. Die Psychogenese hat den Menschen über eine lange Zeit hinweg geführt, doch nun sehen wir das Entstehen einer weiteren Entwicklungsphase, jene des Bewusstseins selbst und diese geht weit über die Psychologie hinaus, es die dies die Noogenese.

Diese Noogenese legt sich erneut über die Schicht des Denkens und hüllt die Erde in eine neue Lage aus bloßem Bewusstsein ein. Bevor sich der Homo Sapiens, wie wir ihn heute kennen endgültig durchgesetzt hatte, lebte er eine zeitlang zusammen mit anderen Hominiden, die heute alle ausgestorben sind. Der bekannteste davon war der Neandertaler. Auch diese frühen Formen von Hominiden hatten ein Bewusstsein. Wir wissen nicht genau, wie sehr es ausgeprägt war, aber es scheint dem Menschen nicht unähnlich gewesen zu sein und die Stufe hatten sie zum größten Teil überwunden, wie der Cro-Magnon-Mensch, der wir noch heute sind. Es ist wahrscheinlich so, dass die körperliche Evolution beim Menschen aufgehört hat. Von nun an geht alles nur noch über den Geist weiter. Und der Mensch ist selbst die treibende Kraft der Evolution geworden. Es geht, zumindest auf der Erde, kaum mehr eine Evolution am Menschen vorbei. Man kann wohl sagen, dass die Evolution heute ganz einfach das Handeln des Menschen selbst ist und zwar in jeder Form, mitsamt allen Irrungen und Fehlleistungen.

Kulturell ist die Evolution in den letzten Jahrhunderten über Europa und Amerika gelaufen, zumindest seit der Renaissance. Die Anfänge des höheren Lebens des Menschen liegen wohl in der Jungsteinzeit, als die Menschen sesshaft wurden, Ackerbau und Viehzucht betrieben und begannen größere Gemeinwesen bis hin zum Staat zu bilden. Die Anfänge verlieren sich in der Geschichte. Aber die fruchtbarsten, diejenigen, auf die wir noch heute aufbauen, waren die alten Hochkulturen im vorderen Orient, Mesopotamien und in Ägypten. Zwar gab es auch frühe Hochkulturen in Mittelamerika, China und Indien, doch sie verliefen sich in Sackgassen. Mittelamerika blieb auf einem gewissen Niveau stecken und war veraltet, als die Europäer ankamen. China blieb eine einfache Gesellschaft mit Feudalstrukturen bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die Chinesen habe sich immer mehr spezialisiert, bis sie einige Künste bis zur Perfektion beherrschten, doch blieb die gesellschaftliche und größtenteils auch die technische Weiterentwicklung stecken. Indien wiederum mag die Welt mit seiner „geistigen“ Welt erfrischen, doch verrannte sich die Kultur heillos in der Metaphysik. Zwei Überzeugungen verhinderten, dass Indien sich weiter entwickeln konnte und sie sind es noch heute, die Indien am Fortschritt bremsen: 1.) Die Ansicht, dass die Welt im Grunde gar nicht real sein, sondern eine Art reines Geistgebilde, vergleichbar einem Traum (eines Gottes). 2.) Die fatalistische Wirkung des Karma. Alles ist bestimmt durch Ursache und Wirkung, der freie Wille kommt wenig oder gar nicht vor. Das führt zu Trägheit und einer Kultur des „Erduldens“. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die Entwicklung über Mesopotamien/Ägypten über den Mittelmeerraum und später über Europa und dann Amerika weiter gegangen ist, bis zum heutigen Tag.

Es ist gerade der Glaube der Menschen daran, das Schicksal in die Hand nehmen zu können, gestalterisch wirken zu können, die den Fortschritt möglich macht. Dabei gibt es notwendigerweise „Geburtswehen“, das ist das Leid auf der Welt mit all seinen Auswirkungen: Krieg, Krankheiten und dergleichen. Diese sind nicht sinnlos, sondern sind unabwendbare Begleiterscheinungen einer sich in Entwicklung befindlichen Welt. Wäre uns das bewusst, dann könnten wir viel mehr ertragen und wir würden nicht so sehr von solchen „Wehen“ getroffen. Die Menschen wachsen nun in der Noogenese immer mehr zusammen. Der Verstand versucht die Illusion der Nähe zu überwinden und gleichzeitig für die nötige „Sicherheit“ zu sorgen, um dabei seelisch gesund zu bleiben. Nun ja, wir haben damit oft nur wenig Erfolg und nicht wenige Menschen fallen in ein abergläubisches, das heißt, primitiveres Stadium, zurück. Der Mensch hat die Tendenz sich zu isolieren, da ihm das Universum zu gewaltig erscheint und das Glück scheinbar gerade darin liegt seine Energien auf sich selbst zu konzentrieren. Tatsächlich entstehen der Menschen Probleme, vor allem in psychischer Natur, durch die Konfrontation mit der Raumzeit. Im Ichbewusstsein liegt die Urform der Angst, aus der sich alle anderen Ängste ableiten. Spürt der Mensch jedoch die Energie, den „Strom“, der ihn trägt, der er ihm Grunde selbst ist, dann sieht er ein, dass seine Weiterentwicklung nicht im Egoismus, im Narzissmus, sondern in der Verbindung mit den anderen und der Sorgen für die anderen und die ganze Schöpfung liegt. Gerade im Dienst an der Schöpfung offenbart sich die ganze Einzigartigkeit des Individuums. Hier liegt die Aufhebung der Dichotomie, die wir so notwendig haben, um psychisch gesund zu sein.

Erich Fromm hat geschrieben, dass die Kranken die eigentlich gesunden seine und die angepassten, die eigentlich Kranken. Beim unangepassten Menschen ist die Individualität noch nicht völlig zugunsten einer Formung durch die Gesellschaft, gewichen. Aber es sind gerade diese Menschen, die die Menschheit vorwärts bringen, die dem Zwang der Konformität widerstehen. Die Gesellschaft mag solche Menschen nicht, da sie ihren Bestand bedrohen. Anscheinend ist es einer Gesellschaft wichtiger so wie sie ist fortzubestehen, als gesund zu werden. Aber mit Ausbreitung und Verdichtung der Noogenese wird diese alte Erfahrung nicht mehr aufrecht zu erhalten sein. Es heißt zwar, dass der Mensch sich nicht ändere, nur die Umstände würden das tun. Doch das stimmt nicht, der Mensch kann sich ändern, das ist unbestritten, wenn man sich die Potenzialitäten des Homo Sapiens ansieht. Die Frage ist nur, was es braucht, damit er sich auch tatsächlich ändert.

Wie kann wieder Ordnung aus dem Chaos entstehen, dass wir überall auf der Welt vorfinden. Dass es so nicht weiter gehen kann wie bisher, das ist inzwischen jedem klar geworden. Doch wo liegt die Lösung? Was kann man tun? Zuerst einmal brauchen wir den Glauben an den Menschen, trotz aller Vergangenheit und aller Fehler, die er gemacht hat. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist eine Notwendigkeit, ohne die weder der einzelne, noch die Gesellschaft, noch die Menschheit als ganzes überleben kann. Einem Menschen die Hoffnung zu nehmen, ist genau so, als ob man ihn tötete. Die letzte Hoffnung ist jene auf den Punkt Omega, auf eine Ziel der Evolution, ein absolutes Ende in und bei Gott. Dies darf jedoch nicht als Weltflucht verstanden werden, wie man es bei Leuten beobachten kann, die das Ende der Welt (Weltuntergang) geradezu herbei sehnen, weil dann die Probleme endgültig gelöst wären und ein „neues Zeitalter“ anbrechen würde. Es ist weniger anzunehmen, dass so etwas geschehen wird. Omega durchzieht bereits die Schöpfung und wenn wir uns auf diesen Punkt einlassen, dann können wir selbst die Änderung vornehmen. Das heißt nicht, dass der Mensch eigenmächtig die Welt verbessern könnte, das kann er nicht. Sondern ich will damit sagen, dass wir Menschen Gott durch uns hindurch arbeiten lassen, viel mehr, als dass wir selbst den Job nur auf uns gestellt erledigen. Wir brauchen einen absoluten Optimismus, einen Optimismus der sich aus reiflicher Überlegung ergibt und alles andere als naiv genannt werden kann. Dann letztendlich geht es nicht einfach nur um das Überleben, sondern um ein Höheres Leben!

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