Dienstag, 25. Oktober 2011

Warum betreibt der Mensch Philosophie?

Es ist dies eine Frage, die erstaunlicherweise viel seltener gestellt wird, als man denken möchte, insbesondere, und das verwundert doch nicht wenig, von den Philosophen selbst. Es scheint, als ob das Philosophieren, das ja nur allzu oft mit dem Denken selbst verwechselt wird, eine Selbstverständlichkeit wäre, etwas das man eben tut, „weil man es eben tun sollte“. Doch warum man es tun sollte, ist schon viel weniger klar und oft auch, wozu das Ganze dienen soll. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, doch trotzdem relativ selten, dass der Mensch im Leben einer Sache um ihrer selbst willen nachgeht. In der Regel ist menschliches Verhalten motiviert und das trifft auf den geistigen, ebenso wie auf jeden anderen Bereich des Leben zu. Rein expressives Verhalten gehört zweifelsohne zu den beglückend- und erfüllendsten Tätigkeiten im Leben. Gewisse Dinge absichtslos zu betreiben, gehört unabdingbar zu einem guten Leben, Doch nur wenige können ein Interesse an einer Sache aufbringen, die sich nicht ins Hauptbuch ihrer Ziele und Ambitionen eintragen lässt – gerade in unserer Zeit sind Zeitgenossen, die solches können, sehr selten geworden – wahrscheinlich liegt darin einer der Gründe für das Unglück, das die meisten Menschen mehr oder weniger in ihrem Leben empfinden – ein Dasein in stiller Verzweiflung. Es soll hier dieser Ausnahmefall des Betreibens der Philosophie um ihrer selbst willen ausgeklammert werden und der Blick auf die zweckmäßige Tätigkeit gelegt werden.

Ich möchte hier vier mögliche Antworten darauf geben, warum der Mensch Philosophie betreibt.
1.) Die Philosophie ist dazu da den Menschen zu befähigen sein Glück und seine Erfüllung zu verwirklichen.
Das ist eine klassische Position von Menschen, die philosophieren, zu allen Zeiten vertreten haben. Es war das Ideal der Antike, das gute Leben anzustreben, wobei dieses gute gleichbedeutend mit einem tugendhaften Leben gesetzt wurde. Das Gute, das Schöne und das Wahre bildeten nach Platon eine Einheit. Es wurde davon ausgegangen, dass der Mensch glücklich werden könne, weil er denken kann. So richtig diese Ansicht auch ist, so zeigt sie doch nur die halbe Wahrheit auf. Denn das Gegenteil ist ebenso wahr. Es war Michel de Montaigne, der als erster darüber schrieb, dass gerade die Denkfähigkeit des Menschen zur Quelle seines Unglücks werden kann. Völlig unabhängig von den äußeren Umständen, kann der Mensch alleine durch sein Denken sowohl glücklich, als auch unglücklich werden. Auf eine Sache ist hier noch hinzuweisen: Untersuchungen und Befragungen von Menschen über ihr subjektives Glücksempfinden, haben über viele Jahrzehnte hinweg gezeigt, dass es kaum einen Zusammenhang zwischen dem wahren Wohlbefinden des Menschen und seiner Meinung über seinen eigenen Glückszustand gibt. Menschen sind sehr robuste Lebewesen und auch wenn es ihnen objektiv schlecht geht, tendieren sie dazu sich eher als glücklich, denn als unglücklich einzustufen. So ist es nicht verwunderlich, dass das Glücksempfinden nach eigenen Angaben, bei fast allen Menschen weitaus größer ist, als es ihrem Seelenzustand entspricht. Man sieht daran auch sehr deutlich, wie sehr die Meinung der Menschen über sich selbst von äußeren Glücksvorstellungen dominiert wird und wie wenig Selbsterkenntnis homo normalis besitzt. Zudem kommt ein starker sozialer Druck hinzu, der von der Ansicht kommt, dass sozialer Status mit Glück zusammenhängt. Wer wenig Glücksempfinden zeigt, gilt als auf der unteren Skala der sozialen Wertigkeit angesiedelt. Auf der anderen Seite gibt es auch starke psychologische Gründe dafür, dass Menschen sich einreden glücklich zu sein und bald selbst daran glauben. Denn wenn es im Leben nicht zumindest eine kleine Hoffnung auf eine Besserung des eigenen Leben gibt, warum sollte man dann überhaupt weiter leben?
Die Philosophie hat nun die Aufgabe den Menschen das richtige Denken zu lehren, vor allem das richtige Denken in Bezug auf sich selbst. Denn wenn einer nicht geschult darin ist über sich selbst nachzudenken, dann dreht man sich ständig im Kreis und wird leicht depressiv oder melancholisch. Die Philosophie soll uns lehren uns selbst so zu sehen, wie wir andere sehen und so objektivere Urteile zu fällen und zu erkennen, was wir tun müssen, um eine Besserung herbeizuführen.

2.) Die Philosophie dient dazu den Menschen zu befreien, frei von allen Dingen und frei von der Angst, vor allem von jener vor dem Tod, zu machen.
Das richtige Denken soll den Menschen unabhängig von der Kultur und der Meinung anderer machen. Wenn wir richtig denken können, dann gewinnen wir allmählich Vertrauen in unsere eigenen Urteile und befinden uns nicht mehr im Zweifel, wenn andere uns widersprechen. Wir können dann Meinungen auch dann vertreten, wenn wir keinerlei Zustimmung von irgendeinem anderen erhalten. Wissen dieser Art macht auch frei von Angst. Philosophie hat auch sehr viel mit einem gestählten (aber nicht unsensiblen) Geist zu tun. Zu philosophieren heißt auch den Tod zu überwinden, es ist die Kunst sterben zu können noch ehe man lebt, um sein Leben auf eine ganz neue Art wiederzuerhalten, dieses Mal jedoch ohne sich vor dem (physischen) Tod noch im geringsten zu fürchten. Beispiele für todesmutige Philosophen waren Sokrates und Seneca, die beide für ihre Überzeugung, die Wahrheit, starben, ohne zu lamentieren oder auch nur im geringsten einen Versuch zu unternehmen ihr Leben zu retten, auch wenn dies (zumindest in Sokrates Fall) leicht möglich gewesen wäre.

3.) Die Philosophie hat den Zweck die Seele des Menschen zu formen.
Philosophie ist weit mehr als die Schulung des Denkens eines Menschen. Gerade der Charakter spielt eine ganz zentrale Rolle, denn so gut die kognitiven Fähigkeiten auch sein mögen, ohne eine entsprechende Tugendhaftigkeit, sind geistige Höchstleistungen nicht möglich. Charakter und Denken gehen Hand in Hand, ja der Charakter hat den Vorrang der beiden, denn des Menschen Charakter ist sein Schicksal. Menschen „gut“ zu machen, ist ebenso des Philosophen, wie des Theologen Anliegen. Beide dienen damit der Menschheit und Gott, sofern man an diesen glaubt.

4.) Das Ziel der Philosophie ist die Wahrheit zu finden. Insofern gleicht sie dem Glauben.
Die Suche nach der Wahrheit ist das höchste und edelste Bestreben der Philosophie. Aber gerade dieser vierte Punkt ist derjenige, der in unserer Zeit am meisten angegriffen wird und deshalb nicht wenige moderne Philosophen dazu gelangt sind ,die Suche nach dieser Wahrheit, zumindest sofern es sich um eine Absolutheit handeln soll, aufzugeben. Die Suche nach der Wahrheit ist immer noch nicht passé und soll es auch niemals sein. Doch darf man nicht im Namen der Wahrheit Grausamkeiten an den Mitmenschen begehen. Die Wahrheit ist nichts, was einer besitzen kann (ebenso wie Gott), dass er quasi mit sich in der Tasche herumführen kann, um sie als Waffe gegen jeden anderen einzusetzen, der sich ihm widersetzt oder sich ob seiner Einsicht bewundern zu lassen. Mancher vermeintliche Verfechter der Wahrheit ist im Grunde ein Verfechter der Grausamkeit.

Auch ist mir hier wichtig festzustellen, dass Philosophie im Grunde keine „Elfenbeinturmbeschäftigung“ ist, sondern eine durch und durch praktische Wissenschaft ist. Auch die Leistung von Philosophen muss an der tatsächlichen Wirkung ihrer Gedanken in der Welt gemessen werden. Selbst der klügste Philosoph versagt, wenn er es nicht fertig bringt in den Geist anderer einzudringen und dort deren Denken zu verändern. Die Leistung der Philosophie als Ganze kann daran gemessen werden, wie gut sie die Menschen zum Denken bringen kann und wie sehr sich das tugendhafte Verhalten der Menschen in der Welt ausbreitet.

Samstag, 15. Oktober 2011

Freiheit und Gewissheit

Viel wird unter den Menschen über die Freiheit gesprochen und es gibt wohl kaum ein Individuum, zumindest in der westlichen Welt, das nicht die Freiheit zu einem seiner höchsten Werte erkoren hat.

Dabei machen wir es uns aber alle viel zu leicht, indem wir auf der einen Seite „Freiheit“ rufen, auf der anderen aber wollen, dass unser Leben in bekannten Bahnen verläuft, in Sicherheit verläuft. Wenn wir Freiheit wollen, dann fühlen wir uns folglich im Augenblick unfrei. Was wir also scheinbar wollen eine Änderung unserer Umstände. Auf der anderen Seite aber fürchten wir uns aber gerade vor so einer Änderung. Es ist nämlich ein Widerspruch in sich, sowohl Freiheit als auch Gewissheit haben zu wollen. Wenn die Welt wirklich gewiss wäre, das heißt, wenn es keinen Spielraum für den Zufall, für die Spontaneität, gäbe, dann ist die „Freiheit“ für immer unerfüllbar. Ihr Wesen besteht ja gerade darin, dass die Zukunft noch nicht geschrieben ist, dass diese noch nicht fest steht. Es ist das uralte Problem (nicht nur für die Philosophen und Theologen), ob der Mensch einen freien Willen hat, oder ob alles determiniert ist, oder ob es zwischen diesen beiden Polen vielleicht auch einen Mittelweg gibt. Eines jedoch ist gewiss: Je größer die Vorherbestimmtheit in diesem Universum ist, desto geringer ist die Freiheit des Menschen. Im Extremfall, wenn alles Schicksal ist, dann hat der Mensch überhaupt keinen freien Willen, dann gibt es aber im gesamten Kosmos keine Freiheit. In so einem Fall nach Freiheit zu streben wäre wie Luftschlösser bauen. Gesetzt diesen Fall, dann gäbe es für den Menschen aber auch keine Hoffnung und man müsste mit gesenkten Haupt resignierend sagen, wie es leider ohnehin schon so oft vorkommt, „da kann man halt nichts machen.“

Vielen Menschen scheinen die logischen Widersprüche nicht aufzufallen und gerade darin dürfte ein großer Teil des menschlichen Leids liegen. Wenn wir glauben, wir könnten die Freiheit haben, ohne dafür einen Preis zu bezahlen, dann befinden wir uns damit gehörig auf dem Holzweg. Wir machen uns meist keine Vorstellungen davon wie viele Dinge in unserem Leben zufällig sind. Die moderne Physik hat bewiesen, dass der Zufall ein ganz entscheidender Faktor im Universum ist. Uns Menschen mag dies nicht gefallen, es gibt uns das Gefühl von Unbedeutendheit und leicht kann einer sich dabei als Opfer von höheren Mächten fühlen – egal ob von natürlichen oder übernatürlichen.

Man kann das Ganze aber auch von einer anderen Seite betrachten. Wenn ich hier ein Vergleich ziehen darf, dann würde ich meinen, dass das, was für das Universum der Zufall ist, im Bereich des Menschen die Spontaneität ist. Es hat sich oft genug gezeigt, dass der Mensch niemals gut fährt, wenn er sich gegen die Natur stellt. Das Glück des Menschen kann überhaupt nur im Einklang mit der Natur, auch mit seiner eigenen, niemals im Kampf gegen diese, gefunden werden. Wir sind leider immer noch negativ geprägt von kulturellen Verhaltensweisen und Denkmustern, die uns jahrhundertelang Anderes gelehrt haben.

Die Freiheit des Menschen besteht nicht darin Dinge vorherzusehen, die geschehen werden, sondern in der Erlaubnis auf jede sich bietende Situation im Leben bestmöglich zu reagieren. Freiheit ist in erster Linie nichts Rechtliches auch nichts Soziales, sondern Psychologisches! Aber das wahre Problem liegt darin, dass die wenigsten Menschen die Freiheit haben immer das Richtige zu tun. Das liegt einerseits an der Erziehung und der Sozialisation, andererseits an den Gewohnheiten, die der Mensch sich angeeignet hat. In diesen liegt die wahre Unfreiheit des Menschen. Nur wer daran arbeitet, das heißt an seinem Inneren, der kann hoffen eines Tages eine größere Reichweite seiner Freiheit zu erreichen. Versuche die rechtliche Situation zu verbessern oder die sozialen Gegebenheiten für die Menschen günstiger zu gestalten, hilft nur sehr wenig. In Wahrheit untermauern sie ja gerade die Opferhaltung des Menschen und machen den einzelnen glauben, es seien vor allem äußere Kräfte, auf die er einwirken müsse, um sein Leben in bessere Bahnen zu lenken.

Wir Menschen machen einen großen Fehler, wenn wir glauben, wir könnten frei sein, ohne dabei die entsprechende Höhe des Charakter erreicht zu haben. Die Freiheit bedeute nämlich auch, dass wir auf die Bestimmtheit des Lebens und unseres persönlichen Schicksal verzichten! Es heißt, dass wir bereit sind völlige Verantwortung, und das heißt wahrhaft zu 100 Prozent, für das Leben zu übernehmen. Die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung eines Charakters überhaupt ist der Mut. Schon Aristoteles wusste, dass es ohne diese Grundtugend keine anderen Tugenden geben kann. Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob wir vielleicht statt Freiheit Gemütlichkeit und Stressfreiheit meinen, was wir wirklich wollen. Ist dem so, dann dürfen wir aber nicht den Begriff „Freiheit“ in den Mund nehmen.

Der Mensch möchte seinem Wesen nach gut sein, doch allzu oft gelingt ihm dies nicht. Schon der Heilige Paulus schrieb in seinen Briefen, dass er nicht das Gute, das er wolle tue, sondern das Böse, das er nicht wolle. Wir sollten deshalb nachsichtiger mit uns selbst und anderen sein, ohne dabei nachlässig zu werden. Die hohen charakterlichen Ideale sind niemals erreichbar, trotzdem dienen sie uns als Kompass, um uns nach dem Rechten auszurichten. „Der Mensch is guat. Nur de Leit san a Gsindl!“, sagte schon Johann Nepomuk Nestroy.

Haben wir den Mut frei zu sein und uns nicht vor dem Unbekannten zu fürchten!