Donnerstag, 22. Juli 2010

Das Weltbild des Teilhard de Chardin – Höheres Leben – Teil 5/6

Die Gefahr des modernen Menschen besteht darin, dass er auf den zunehmenden inneren psychischen Druck, der auf ihm lastet mit Isolation reagiert. Dies ist zwar verständlich, bedeutet aber eine Rückwendung, ein Regression. Tatsächlich ist das die häufigste Reaktion, die wir auf der Welt beobachten können. Die Welle der „Selbstverwirklichung“ ist immer noch nicht völlig abgeebbt und hat gerade in letzter Zeit noch einmal einen Aufschwung erlebt. Aber die wahre Selbstverwirklichung liegt, wie ich bereits im letzten Beitrag angesprochen habe gerade nicht darin sich zu isolieren und sich ausschließlich auf sich selbst zu zentrieren, sondern in der Ausweitung der tangentialen Energie, das heißt die dichtere Verbindung mit der Welt und anderen Menschen.

Auf den Narzissmus des Individuums folgte oft der Narzissmus einer Gruppe. Die nationalistischen und rassistischen Bestrebungen der letzen zweihundert Jahre zeigen dies ganz deutlich. Es sind gerade die am wenigsten individualistischsten Menschen, die sich in der Gruppe am leichtesten wieder finden. Doch in der heutigen Welt, brauchen wir eine größere Identifikation, eine mit der gesamten Welt und mehr noch mit dem ganzen All. So lange der Mensch sich mit Dingen identifiziert, die beschränkt sind, ganz egal, wie weit der Horizont auch sein mag, solange wird er sich „klein“ fühlen. Wenn ich auch die ganze Welt wäre, so wäre ich doch noch immer winzig klein im Gegensatz zum Universum. Die einzige Möglichkeit Sicherheit, endgültige Sicherheit, zu erlangen besteht in der Identifikation mit dem All als Ganzem, mit der Unendlichkeit von Raum und Zeit. Bisher wissen nur die Mystiker, was das wirklich bedeutet. Ich bin aber davon überzeugt, dass diese bisher seltenen Erlebnisse einzelner, in Zukunft zu einem allgemeinen Erleben der Menschen schlechthin werden wird, ja werden muss!

In der Phase der Noogenese geht es darum einen „wahren Geist der Erde“ zu schaffen, das Gesamtergebnis der einzelnen Bewusstseinszentren, die wir im menschlichen Geist finden. Die Evolution ist der Aufstieg es Bewusstseins und der Aufstieg des Bewusstseins ist die Einigungswirkung. Es kommt zu einer Meta-Synthese des Bewusstseins, woraus eine neue Schicht oberhalb der Sphäre des Denkens entsteht. Was es dazu braucht ist ein neues Leitbild, ein erweitertes Bild des Humanismus. Viel wird heute darüber gesprochen zwischen dem Gegensatz von einem humanistischen und einem gotteszentristischen Weltbild. Beide sind im Grunde kein Widerspruch. Gott und Mensch sind nicht voneinander zu trennen. Dieser Irrtum ergibt sich nur dort, wo es heißt man müsse sich entscheiden, ob nun Gott oder der Mensch im Zentrum des Weltbildes stünde. Gott steht zwar außerhalb der Schöpfung, durchdringt sie aber gleichermaßen von Anfang an in jedem noch so kleinen Teilchen. Ein wahres Gotteszentriertes Weltbild ist ein Menschenzentriertes Weltbild und ein wahres humanistisches Weltbild ist auch eines, bei dem Gott im Zentrum steht. Freilich darf der Mensch nicht das Ego in den Mittelpunkt des Weltbildes stellen, wie wir es in der heutigen Zeit erleben, das ist ein unsinniger Humanismus. Was wir brauchen ist den Heiligen Geist, um mit den Worten des Christentums zu sprechen, der göttliche Teil der im einzelnen Wirken kann ins Zentrum des Weltbildes zu stellen. Ein solches Weltbild ist völlig gottes- aber ebenso völlig menschzentriert. Erst wenn wir dies verstehen und die Dichotomie auflösen können, dann werden wir uns zu einem einheitlichen neuen Weltbild durchringen können. Bislang sind wir so weit noch nicht gekommen.

Heute kann der Mensch nur noch durch wechselseitige Durchdringung weiter wachsen. Durch die Abnahme vieler Arbeiten durch Maschinen, konnten immer mehr Menschen ihren Geist im geistigen Bereich nutzen und dies führte allmählich zu einem neuen „Bewusstsein“ auf höherer Ebene. Alles wirklich Große schreitet langsam voran und wird in seinen Anfängen kaum bemerkt. In der Noogenese werden der Raum und die Zeit menschlich. Das Universelle und das Persönliche schließen sich nicht mehr aus, sie streben beide einem gemeinsamen Höhepunkt entgegen. Das Universal-Zukünftige kann nur ein Überpersönliches sein – im Punkt Omega. Omega wirkt bereits jetzt in alles hinein.

Das Universum ist ein „Sammler und Bewahrer“ von Bewusstsein. Das Kollektiv der Menschen ist dabei allmählich eine „Weltseele“ zu bilden. Egoismus ist die Verwechslung von Individualität mit Persönlichkeit. Der Egoist empfindet zwar richtig, aber er unterliegt einem Irrtum. Um wirklich wir selbst zu sein, müssen wir voranschreiten im Sinne einer Konvergenz mit allem Übrigen. Unser endgültiges Wesen, unsere Einzigartigkeit, liegt nicht in der Individualität, sondern in unserer Person. Das wahre Ego wächst umgekehrt proportional zum Egoismus! So wächst ganz von selbst die universelle Energie der Liebe.

Liebe in voller biologischer Realität ist die Anziehung, die ein Wesen auf andere Wesen ausübt. Es ist deshalb gerade die Liebe, welche die künftige „Weltseele“ schafft. Universelle Liebe ist psychisch durchaus möglich und es ist die vollständige und endgültige Art der Liebesfähigkeit. Ein Kollektiv, das den Einzelnen absorbiert, tötet die Liebe und widerstrebt letztendlich der Evolution. Was sind nun die Attribute dieses Endpunkte, des Punktes Omega, von dem schon so viel geschrieben wurde? 1.) Die Liebe (allumfassend und bedingungslos!) Gott ist die Liebe, heißt es in der Bibel, ebenso ist es die Liebe, die die Evolution von Anfang an begleitet und sie vorantreibt und sie wird auch ihr großes Ende sein. 2.) Das Fortleben und 3.) Irreversibilität. Omega ist das letzte Glied einer Reihe aber es steht selbst außerhalb der Evolution.

Eine Erkenntnis ist hier wichtig: Auf dem Stand der Tiere geht die radiale Energie beim Tod wieder auf das Tangentiale zurück, beim Menschen hingegen befreit sich das Radiale vom Tangentialen! Gerade das ist die Einmaligkeit des Menschen. Wenn ein Leib stirbt, lebt der Mensch trotzdem weiter, das Leben nach dem Tod ist keine Illusion, sondern Realität! Irgendwann wird die Wissenschaft wahrscheinlich in der Lage sein dies zu erkennen, bis dahin gibt es zwar einige Hinweise, die jedoch nicht genügen für eine wissenschaftliche „Wahrheit“ und so müssen wir noch eine Weile daran glauben, dass wir nach dem Tod weiterleben werden. Für den Gläubigen ist das Leben nach dem Tod eine Gewissheit und keine Annahme.

Das Ende der Welt ist unvorstellbar. Meist verbindet man damit eine Art riesiger Katastrophe, eine höllische Apokalypse. Je höher die Noogenese steigt, desto gefährlicher wird auch das Handel des Menschen: Kriege, Seuchen, Naturkatastrophen etc. nehmen eher zu als ab. Das Ende des Einzelwesens führt jedoch nicht zum Ende der Art, das wird leider allzu oft vergessen. Aber an der Menschheit als Ganzes hängt nun die ganze Evolution. Ohne uns gibt es keine Weiterentwicklung, mit uns steht oder fällt alles. Die Natur kann nicht mehr ohne uns existieren. Wir selbst sind die voranschreitende Natur geworden, wir sind identisch mit ihr geworden und mehr noch: Das ganze Universum hängt von uns ab! Scheitern wir, so scheitert die ganze Schöpfung! Aber zwischen dem unendlich Kleinen und dem unendlich Großen scheint es eine Vereinbarung zu geben, das Bewusstsein, das zwischen ihnen entstand zu unterstützen und zu schützen. Gottes Hand bewahrt die Schöpfung davor unterzugehen, und das ist unsere größte Trumpfkarte, die wir haben! Und sie rechtfertigt den Optimismus, den Glauben an die Zukunft und mehr noch den Glauben des Menschen an den Menschen selbst.

Es gibt drei Hauptlinien entlang deren sich die die vermenschlichte Evolution (das Künstliche) bewegt. 1.) Die Wissenschaft, 2.) Konzentration auf das Objekt Mensch und 3.) Verbindung von Wissenschaft und Religion. Von diesen drei Punkten wird es abhängen, wie sich die Noogenese entwickelt. Wir blicken nach außen, aber ebenso nach Innen und erkennen, dass das interessanteste Objekt des Studiums der Mensch selbst ist. Wenn die Wissenschaft über das Stadium der Analyse hinaus geht und sich der Synthese zuwendet und sich mit der Religion verbindet, dann können wir zu einem einheitlichen, echten Erkenntnisakt gelangen, eine Vereinigung von Mystik und Wissenschaft! Um die Person des Menschen aufzunehmen, muss das Universum irreversibel die Persönlichkeit herausbilden.

Für das Ende gibt es nun zwei Szenarien. Entweder konvergiert die Welt im Frieden, der Krieg wird endgültig beseitigt, Armut und Verbrechen verschwinden allmählich vom Erdboden. Das zweite Szenarium wäre eine Zweiteilung der Welt. Während der eine Teil sich weiter im Rahmen der Noogenese entwickelt, Fortschritte in Richtung Omega macht, bleibt ein anderer Teil in Krieg, Terror und Wirren stecken und erreicht Omega nie. Der fortschrittliche Teil würde dann am Ende „in den Himmel kommen“, während der rückständige Teil „in die Hölle fahren“ würde. Dieses Szenario entspricht mehr den klassischen Vorstellungen von der Endzeit. Was auch immer geschehen wird, es ist keine schlechte Entscheidung sein Leben auf Omega auszurichten. Vielleicht sehen wir uns dann alle eines Tages im Himmel wieder! Ich finde, die Sache ist es wert!

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