Freitag, 27. August 2010

Bewusster und unbewusster Wille

„Was der Mensch tut, das will er auch“. Auf diesen Umstand hat der Psychiater Alfred Adler immer wieder hingewiesen und für ihn war dies auch das entscheidende Kriterium der Beurteilung eines Menschen. Was zählt ist nicht, was ein Mensch über sich selbst meint, denn die Meinungen über sich selbst sind meist korrumpiert, anerzogen und haben wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Das einzig Wahre in Bezug auf die Beurteilung eines Menschen sind dessen Handlungen. Aus einer gewissen Anzahl von Handlungen, lässt sich auf den Lebensstil eines Menschen schließen und von diesem wiederum auf seine Einstellungen gegenüber sich selbst, den Mitmenschen und der Welt.

Nun fällt aber das, was ein Mensch bewusst von sich denkt, wobei es sich meist um das handelt, was man ihm als Kind beigebracht hat von sich zu denken, und dem, was ein Mensch wirklich (meist unbewusst) von sich hält, stark auseinander. Die Handlungen leiten sich, bis auf wenige Ausnahme, alle aus dem wahren Willen, der wahren Einstellung gegenüber sich selbst und die Welt ab. Weil aber so viele Handlungen, um nicht zu sagen beinahe alle, ihren Ursprung im Unbewussten haben, ist es kein Wunder, dass der Mensch sich meist oft selbst das größte Rätsel ist. Wie ist es zu erklären, dass einer meint inkompetent zu sein, dabei jedoch hervorragende Leistungen erbringt, was ihm auch durch seine Umwelt bestätigt wird, das dann jedoch nicht zu einer Änderung der Meinung dieses Menschen führt?

Täuschung funktioniert vor allem deshalb so gut, weil jede Gesellschaft darauf beruht, dass unter Erwachsenen jeder die Rolle akzeptiert, die er spielt, wenn dieser im Gegenzug die Rolle, die man selbst spielt annimmt. So leben wir in einer Welt von Schauspielern und wissen dies noch nicht einmal. Goethe und Shakespeare bemerkten beide, dass das Leben im Grunde nichts anderes als ein großes Theater sei, auf dem jeder manche Rollen spielt. Eric Berne („Spiele der Erwachsenen“) hat sich intensiv mit den „Spielen“ beschäftigt, die Menschen spielen. Diese sind verdeckte Transaktionen, die auf einem Schwindel beruhen, aber von beiden Seiten akzeptiert werden, da sie einen Spielgewinn daraus ziehen. So gibt es etwa ein Spiel mit dem Namen „Schlemihl“, das darauf beruht, dass einer ins Fettnäpfchen tritt, ein anderer sich darüber aufregt, der „Täter“ sich entschuldigt und diese Entschuldigung akzeptiert wird. Anders als bei einer echten Entschuldigung, handelt es sich hier jedoch um ein Verfahren, um sich nicht ändern zu müssen. Die Entschuldigung ist nur eine Spielhandlung, kein echtes Bereuen, in Wahrheit möchte, die sich entschuldigende Person dem anderen eins auswischen, darf seine Abneigung jedoch nicht offen zeigen (meist durch einen Kindheitsbefehl demzufolge er „nett“ sein zu muss). Deshalb wird dieser Umweg gewählt.

Spiele sind die intimsten Handlungen, zu denen die meisten Menschen fähig sind, da echte Intimität den meisten in der Kindheit aberzogen wird und sie somit für den Rest ihres Lebens dazu nicht mehr in der Lage sind (von entsprechenden therapeutischen Interventionen einmal abgesehen).

Wenn objektives Leben und bewusste Einstellung dazu nicht kongruent sind, dann liegt dieser Unterschied im Unbewussten. An das Unbewusste kommt man jedoch nicht ohne weiteres heran. Meist bedarf es dazu der Hilfe von anderen. Was sich durch ein wenig Nachdenken ins Bewusstsein befördern lässt, ist nicht unbewusst, sondern lediglich vorbewusst. Methoden um an das Unbewusste heran zu kommen sind etwas nach der klassischen Psychoanalyse die Freie Assoziation, die Traumdeutung und die Analyse der fehlerhaften Handlungen des Lebens des Klienten.

Freuds Erkenntnis, dass ein großer Teil des Lebens des Menschen nicht durch das Bewusstsein gesteuert wird, braucht uns nicht unbedingt zu beunruhigen. Lebenserfolg hängt recht wenig von der Kontrolle, als viel mehr von der Flexibilität (im Geiste) ab, mit der man in die Lage versetzt wird im jeweiligen Augenblick das „Richtige“ zu tun. Zwar ist noch niemals eine Gesellschaft darauf ausgerichtet gewesen, dass ihre Mitglieder dazu in die Lage versetzt worden wären (vor allem durch Sozialisation) – auch in Zukunft ist dies nicht zu erwarten – doch für den einzelnen gibt es Hoffnung, für die Gesamtheit der Menschen wahrscheinlich nicht. Ich denke dies ist Ansporn genug seine Energie auf sich selbst zu richten und nicht in der Welt sich sinnloser Zerstreuung hingeben. An der Wirklichkeit zu verzweifeln ist leicht, doch sie zu akzeptieren und die Änderungen in einem selbst vorzunehmen sehr schwer. Abraham Maslow hat in den 50er und 60er Jahren Untersuchungen über so genannte „Selbstverwirklichende Menschen“ angestellte und dabei unter 3000 College-Studenten keinen gefunden, der dafür getaugt hätte. Eine seiner Schlussfolgerungen daraus war, dass (psychisch) völlig gesunde Menschen in jungen Jahren nicht anzutreffen sind und sich allenfalls, wenn auch selten genug, solche Individuen erst in fortgeschrittenem Alter anzutreffen sind. Meine persönliche Beobachtung kommt zum selben Schluss. Nie habe ich jemanden unter 40 getroffen, der frei von Psychosen, Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen gewesen wäre. Die Wunden der Kindheit heilen schlecht, wenn überhaupt und von selbst geschieht dies niemals. Aber bei einzelnen Personen ist es gelungen, das erscheint mir zumindest bis zu einem gewissen Grad, Hoffnung zu rechtfertigen.

Vielleicht ist das, was die Buddhisten als „Erleuchtung“ bezeichnen, die Auflösung des Unbewussten und der Übertrag aller Informationen aus demselben in das Bewusstsein? Eine Überlegung ist es allenfalls wert.

Montag, 16. August 2010

Sokrates (470-399 v. Chr.)

„Jener behauptet dass er etwas wisse, obwohl er nichts weiß. Ich weiß zwar auch nichts, habe aber nie behauptet etwas zu wissen“. Dieser berühmte Ausspruch des Mannes, der „die Philosophie vom Himmel auf die Erde herunter brachte“ wird auch verkürz mit „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ausgedrückt. Dieser Mann ist der möglicherweise größte aller Philosophen, auf den alle abendländische Philosophie zurückgeht: der Straßenphilosoph Sokrates.

Sokrates wurde um das Jahr 470 v. Chr. als Sohn des Steinmetz Sophronikos und der Hebamme Phainarete geboren. Er übernahm die Profession seines Vaters, hatte es jedoch praktisch in seinem Leben nicht ausgeübt. Sokrates kämpft tapfer als Hoplit im Peloponnesischen Krieg für seine Vaterstadt Athen. Diese Kriegszüge waren auch die einzigen Gelegenheiten bei denen er die Stadt Athen verließ. Ansonsten verbrachte er sein ganzes Leben in der attischen Metropole. 406 wurde er zum Prytanen gewählt, dem geschäftsführenden Ausschuss des Fünhunderterrates. Sokrates wurde, obwohl der sich während des Regimes der Dreißig Tyrannen für die Demokratie eingesetzt hatte, gerade von den Demokraten angefeindet, die ihn und seine Denkrichtungen als mitverantwortlich für den Niedergang Athens nach dem verlorenen Peloponnesichen Krieg betrachtete. Athen war schwer gedemütigt worden und die Suche nach einem Sündenbock war in der Person Sokrates erfolgreich gewesen. 399 wurde er, völlig schuldlos, zum Tode verurteilt. Die Anklage lautete auf Gotteslästerung und Verderben der Jugend. Obwohl es Sokrates ein leichtes gewesen wäre dem Tod zu entgehen, zum Beispiel einfach dadurch, dass er die Stadt verlassen hätte (woran er nicht gehindert worden wäre), entschloss er sich eher zu sterben. Im Beisein seiner treuesten Schüler und Bewunderer trank er den Schierlingsbecher und diskutierte mit diesen bis zuletzt. Das Thema: der Tod und was man darüber wissen konnte. Die Art seinen Tod in Kauf zu nehmen bestätigte seine Prinzipien von Wahrhaftigkeit und Liebe zur Wahrheit, die Sokrates selbst höher einstufte, als das Leben selbst.

Wovon er sein Leben lang gelebt hat ist nicht bekannt, er schien immer auf Urlaub gewesen zu sein. Wahrscheinlich hatte er ein gewisses Vermögen geerbt, dass ihm einen ausreichenden Lebensstil gestattet, was nur um so leichter fiel, da der Philosoph keinen ausschweifenden Lebenswandel führte, wie so manch anderer mit „zuviel Freizeit“ es in seiner Situation wahrscheinlich getan hätte. Jedenfalls hat Sokrates sich ganz der Wahrheit verschrieben. Im Kern jedoch ging es stets um den guten Lebenswandel. Wahrheit und Weisheit hatten letztendlich nur den Zweck ein wahrhaftiges Leben zu führen. Sokrates vermochte jeden in ein Gespräch zu verwickeln und er selbst liebte es jedem aufzuzeigen, dass er im Grunde gar nichts wisse, dass sein ganzes Wissen im Grunde nichts anderes war als bloße Meinungen, allenfalls durch den Verstand derart geschickt verpackt, dass man sie für echtes Wissen halten konnte. Einerseits stellte Sokrates so seine Mitmenschen beinhart bloß und zwar vor allem durch die Art Fragen zu stellen, die dazu führten, dass einer sich selbst ständig widersprach. Nicht Sokrates war es, der einen brüskierte, sondern sein Gegenüber tat es selbst. Dabei war Sokrates kein Spötter oder Sadist. Ihm ging es wirklich um die Wahrheit und darum, dass im Grunde niemand etwas wissen konnte, dass die Menschen aber zu dieser Einsicht erst gebracht werden mussten, denn in der Regel war und ist der einzelne sehr davon überzeugt etwas zu wissen, vor allem, wenn er über Bildung verfügt. Die Methode des Sokrates bestand nie darin einem anderen direkt zu widersprechen. Stets ging es darum die Aussagen des anderen indirekt zu widerlegen und zwar, wenn möglich, durch den anderen selbst. Man führt ein Argument so weit, bis es ad absurdum geführt wird und in sich selbst zusammen bricht. Das Ziel ist erreicht, wenn der Gegner nichts mehr zu sagen weiß oder sich nur noch in Floskeln oder Ad-Hominem-Angriffe flüchten kann.

Den einen war er ein Ärgernis, für die anderen war er ein Held. Sokrates war ein Phänomen, ein Athener Original, das man immer auf den öffentlichen Plätzen und Straßen antreffen konnte und einer, der immer zu einem „Schwätzchen“ aufgelegt war. Dass dieses Schwätzchen immer auf den Kern einer Sache zielen sollte, entging einem freilich, sofern man mit der sokratischen Art zu fragen noch nicht vertraut war. Das Orakel zu Delphi nannte ihn den weisesten Mann der Welt („keiner ist weiser als Sokrates“). Für Sokrates war der Weg und das Ziel des Lebens eins. Nicht das Leben selbst ist von Bedeutung, sondern die Lebensführung.

Es gibt auch einige Anekdoten von Sokrates, von denen nur eine hier erwähnt werden soll. Einst an einem sonnigen Tag begab sich der Philosoph wieder einmal auf die öffentlichen Plätze Athens, wie es seiner Gewohnheit entsprach. Dabei hatte er eine Laterne bei sich, die ein angezündetes Licht in sich barg. Darauf angesprochen, wozu er eine Laterne am helllichten Tag brauche antwortete er, er suche Menschen, habe bisher aber noch keinen finden können.

Sokrates selbst hat keine einzige Zeile hinterlassen. Es ist deshalb auch nicht leicht das Lehrgebäude Sokrates zu rekonstruieren. Was wir von ihm wissen, stammt vor allem von seinem bedeutendsten Schüler, Platon, der Sokrates in mehreren Dialogen auftreten lässt. Platon selbst wurde nicht nur mit seiner Philosophie, sondern auch als Person der Erbe des Sokrates. Aber nicht er alleine hat Anspruch die Lehre des Sokrates dargelegt und weiter gegeben zu haben. Auch Aristoteles schreibt über Sokrates, Xenophon war einer der besten Freunde Sokrates, ebenso der „Dandy“ Athens, Alkibiades. Sämtliche philosophischen Strömungen des Abendlandes gehen in irgendeiner Weise auf Sokrates zurück.

Zu erwähnen wäre noch das angeblich so schlechte Verhältnis Sokrates zu seiner Frau Xanthippe. Ihr Name wurde seither zum Synonym für ein garstiges Weib, einen Hausdrachen. Das meiste davon ist stark überzeichnet. Wenn das Verhältnis auch nicht immer harmonisch gewesen sein mag, so ist es doch übertrieben es als derart missgestaltet hinzustellen, wie dies die „Biographen“ des Sokrates, vor allem die früheren, gerne getan haben.

Mit Fug und Recht kann man Sokrates als einen der größten Menschen bezeichnen, die je gelebt haben, ein Licht in der Dunkelheit.

Aussagen über Sokrates

„Er war im Tode der Edelste, im Leben der Verständigste und Gerechteste.“
- Platon-

„Sokrates bricht mit der Tradition und holt, wie Cicero es zugespitzt gesagt hat, die Philosophie vom Himmel auf die Erde“.
- Bruno Snell –

„Ich bewundere die Tapferkeit und Weisheit des Sokrates in allem, was er tat, sagte und nicht sagte“
- Friedrich Nietzsche -

Mittwoch, 11. August 2010

Otto von Bismarck (1815-1898

„Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen unserer Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut!“ Dieser „Ausrutscher“ Bismarcks im Preußischen Reichstag, wurde zu einer seiner berühmtesten Aussagen. Viel wurde über diesen „Eisernen Kanzler“ geschrieben und seine Gestalt gehört zu einer der verklärtesten der moderner deutschen Geschichte. Als „Einiger Deutschlands“ und Visionär, als des Kaisers wichtigster Mann wurde er gefeiert. Und Millionen von Deutschen bewunderten ihn in Literatur und Geschichte, schauten andachtsvoll auf das berühmte Gemälde der Kaiserproklamation in Versailles 1871, auf dem eindeutig, der in weiß gekleidete Bismarck heraus sticht und nicht die im formellen Zentrum stehende Person König Wilhelms I. Wer ist dieser Mann, der zu den bedeutendsten Politikern des 19. Jahrhunderts gehörte und dessen Wesen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein strahlte?

Otto Eduard Leopold von Bismarck wurde 1815 geboren. Er war ein Junker und Landbesitzer in Schönhausen in Brandenburg. Aus einem konservativen und autokratischen Elternhaus stammend, war er demokratischen und liberalen Ideen nicht sehr zugetan. Doch besaß Bismarck genug Realismus, auch aus etwas, das ihm als „Übel“ erschien, für sich das Beste herauszuholen. Konnte man eine Entwicklung nicht verhindern, so wollte er sie doch so weit als möglich selbst steuern. Der Begriff „Realpolitik“ ist auch untrennbar mit dem Namen Bismarck verbunden.

Das erste große öffentliche Auftreten Bismarcks erfolgte im Zug der Revolution von 1848. Dem ersten, revolutionär gesinnten, Abgeordnetenhaus gehörte er allerdings noch nicht an. Doch im Oktober desselben Jahres wurde ein neues Haus gewählt, welches mehr royalistisch eingestellt war und dessen Mitglied der damals 33jährige wurde. Das Verhältnis zu König Friedrich Wilhelm war gespannt. Anfangs unterstützte Bismarck, nicht zuletzt aufgrund seiner Bewunderung für den Staatskanzler Fürst Metternich, die „Großdeutsche Lösung“ bei der Vereinigung der deutschen Staaten. In den frühen 50er Jahren jedoch, änderte er seine Meinung und befürwortete die „Kleindeutsche Lösung“, die Österreich ausschloss. 1859 wurde Bismarck Botschafter in St. Petersburg und 1862 in Paris. Jedoch nur für kurze Zeit. Der Kriegsminister Albrecht von Roon berief ihn durch die berühmt gewordene Depesche („Periculum in mora, Dépêchez-vous“) zurück nach Berlin. Noch im selben Jahr wurde Bismarck preußischer Kanzler, drängte den König, Wilhelm I., dazu die Armee zu reformieren, seine Ignoranz gegenüber der parlamentarischen Opposition aufzugeben und sich den realen Umständen zuzuwenden. Wilhelm war zögerlich bei seinen Entscheidungen und hörte entschieden zu viel auf seine Frau. Bismarck änderte dies und geriet dadurch naturgemäß in Konflikt mit der Königin.

Noch war er Österreich gegenüber, zumindest öffentlich, freundlich gesinnt. Zusammen mit Preußen besiegte es 1864 Dänemark. Die Gebiete Schleswig, Holstein und Lauenburg kamen zu Preußen beziehungsweise zu Österreich. Der Konflikt mit Österreich spitzte sich in der Folge jedoch zu und 1866 kam es schließlich zum Krieg, den Preußen fulminant für sich entscheiden konnte. Die berühmte Schlacht bei Königgrätz legt beredetes Zeugnis darüber ab. Es ging vor allem um die Vorherrschaft in deutschen Raum und in dem, auf dem Wiener Kongress (1814/15) gegründeten, Deutschen Bund, der von Österreich angeführt wurde. Nun aber hatte sich das Schwergewicht nach Norden verlagert und Preußen war jetzt die eindeutige Führungsmacht geworden. Die Staaten nördlich des Mains schlossen sich zur Norddeutschen Konföderation zusammen, die unter dem Vorsitz Berlins stand.

Einem Verwandten preußischen König wurde 1870 die Spanische Krone angeboten. Frankreich jedoch bestand darauf, dass dieser sie ablehnte. Eine Einkreisung durch die Deutschen war für Frankreich inakzeptabel und bald bahnte sich eine diplomatische Krise an. Dies war für Bismarck der Casus Belli. Er schrieb seine berühmte „Emser Depesche“ an König Wilhelm, der zur Kur weilte, und die mit „verschärften“ Worten (um)geschrieben war. Der Zweck war klar. Wilhelm sollte nicht mehr anders können, als Frankreich den Krieg zu erklären. So kam es auch. Frankreich wurde besiegt, vor allem in der großen Schlacht bei Sedan. Im Jänner 1871 wurde das Deutsche Reich im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles proklamiert, nach dem sich die süddeutschen Königreiche, Bayern, Baden und Württemberg den anderen deutschen Staaten angeschlossen hatten. König Wilhelm I. wurde zu Kaiser Wilhelm I. und Bismarck zum ersten Reichskanzler.

Nun wollte Bismarck das Erworbene absichern, denn ihm war bewusst wie sehr die neue Supermacht im Zentrum Europas das Gleichgewicht in Europa gestört hatte, und eine neue Ordnung sich aufgetan hatte, die nur zu gerne von anderen Staaten wieder umgestoßen worden wäre. Frankreich wollte Rache für den Verlust von Elsass-Lothringen, mit ihm war ein dauerhafter Frieden nicht zu erwarten. Österreich war verärgert, konnte aber so weit gebracht werden mit Deutschland 1879 den „Zweibund“ zu schließen. 1882 schloss sich das neu gegründete Königreich Italien an ("Dreibund"). 1887 schloss Bismarck mit Russland den so genannten „Rückversicherungsvertrag“, der dafür sorgen sollte, dass Deutschland in einem kommenden Krieg (und Bismarck sah diesen voraus) nicht von zwei Fronten gleichzeitig angegriffen wurde. Solange Victoria I. Königin (Großmutter von Kaiser Wilhelm II.) von England war, gestalteten sich die Beziehungen zu Deutschland gut bis freundschaftlich. Erst als Victoria 1901 starb und Edward VII. König wurde, wendete sich das Blatt. 1904 schlossen England und Frankreich sich zur „Entente Cordiale“ zusammen. Ein eindeutig gegen Deutschland gerichtetes Bündnis. 1878 fand in Berlin der größte diplomatische Kongress sein Wien statt. Es ging um die Neuordnung des Balkans. Bismarck triumphierte auf dem Kongress, wie einst Metternich in Wien.

Innenpolitisch kam es zu einem „Kulturkampf“ mit der katholischen Kirche, in dem es um die Frage des Erziehungswesens ging. Bismarck erließ gesetzte, die den Katholiken verboten in Ausbildungsfragen mitzureden. Doch bald arrangierte er sich mit den entsprechenden Kreisen im Parlament, sowie dem Heiligen Stuhl in Rom. Die Sozialdemokraten waren Bismarck ein Gräuel. Doch drängte ihn die „Soziale Frage“ dazu erste Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherungssysteme zu errichten. Damit war ein Grundstein des Sozialstaates Deutschland gelegt worden, und das von einem Konservativen.

1888 starb Wilhelm I. und nach wenigen Wochen auch sein Nachfolger Friedrich III. so dass Wilhelm II. Kaiser wurde. Dieser hatte modernere Idee und stimmt auch außenpolitisch mit Bismarck wenig überein. Er kündigte den Rückversicherungsvertrag mit Russland. Nachdem die Spannungen der beiden Männer immer heftiger geworden waren, bat der Kaiser den Kanzler um seinen Rücktritt. 1890 reichte Bismarck diesen ein. Er wurde entsprechend angenommen.
Bismarck sah mit Schrecken den Ersten Weltkrieg voraus und die hoffnungslose Lage in die Deutschland geraten würde, wenn es von zwei Seiten angegriffen würde. Wie Recht er damit haben sollte, zeigte die Geschichte keine zwei Jahrzehnte nach seinem Tod.

Donnerstag, 5. August 2010

Die drei größten Illusionen des Lebens

Siegmund Freund brachte es auf den Punkt, als er beschrieb welche gewaltigen Schläge den modernen Menschen getroffen hatten und nun zu seinem Leid in einem ungeahnten Ausmaß beitrügen. Es sind dies Angriffe auf das Ego, auf das Weltbild, das sich der Mensch über Jahrtausende hinweg bewahrt hat und das erst durch die Wissenschaft und Forschung ins Wanken und endlich zu Fall gebracht wurde. Diese Angriffe waren: 1.) Kopernikus mit seinem Heliozentrischen Weltbild: Der Mensch konnte nun nicht mehr in der Vorstellung leben, die Welt sei das Zentrum des Universum. Durch die Astronomie der folgenden Jahrhunderte wurden die Dimensionen im All immer größer und die subjektive Empfindung des Menschen immer kleiner. Wie groß ist der Mensch schon im Verhältnis zu den gewaltigen Ausmaßen des Universums? 2.) Darwin mit seiner Evolutionstheorie. Der Mensch konnte sich nun nicht mehr als Krone der Schöpfung betrachten, zumindest nicht mehr in der alten, bis dahin vorherrschenden Form. Die Vorstellung mit den Affen gemeinsame Vorfahren gehabt zu haben, war für das Selbstverständnis des Menschen beinahe unerträglich. Und selbst heute noch bereitet dies einige Probleme, vor allem bei sehr unsicheren Menschen. Aber es gibt auch Menschen, die aus anderen Gründen berechtigte Zweifel an der Evolutionstheorie haben. 3.) Die Erkenntnisse Freuds selbst, nämlich insbesondere, dass nur ein sehr kleiner Teil dessen, was der Mensch glaubt beherrschen zu können, von ihm wirklich beherrscht werden kann. Das mächtige Unbewusste beherrscht viel mehr den Menschen, als der kleine Bereich, der uns bewusst ist. Der Mensch ist sozusagen gar nicht „Herr im eigenen Haus“.

Unabhängig von diesen Schlägen für das menschliche Ego jedoch, entdeckte Freud, dass es drei große Illusionen gibt, unter denen Menschen leiden. Der gesunde Mensch kommt allmählich so weit sie abzulegen und ohne diese Illusionen sein Selbstverständnis und seine Sicherheit zu erlangen. Der kranke Mensch jedoch wird an einer, wenn nicht an allen drei, wenn auch in unterschiedlichem Maße, festhalten. Die erste dieser Illusionen ist die Illusion unwiderstehlich zu sein. Es ist der Glaube im Grunde unbeschränkt attraktiv zu sein und zwar für alle Menschen. Wer also einen Mensche, der dieser Illusion unterliegt nicht für attraktiv hält, ist aus der Sicht des Illusionisten nicht ehrlich. Oder, was ebenso denkbar wäre, er ist nicht „ganz gescheit“, soll heißen, er befindet sich selbst im Irrtum. Interessanterweise sind es ja gerade die Menschen, die am weitesten von der Realität entfernt leben, die glauben die größten Realisten zu sein und den Irrtum überall in der Welt vermuten, bei jedem anderen nur nicht bei sich selbst. Es ist wie beim Geisterfahrer auf der Autobahn: Es sieht so aus, als ob man der einzige vernünftige Fahrer wäre und heute eben nur noch Geisterfahrer unterwegs seien.

Die zweite Illusion, die von Freud entdeckt wurde, ist jene zu glauben, man sei unsterblich. Es ist der kindliche Wunsch ewig leben zu können. Sterben, das tun immer nur die anderen. Ein solcher Illusionist glaubt, wenn er stürbe, dann stürbe mit ihm auch die ganze Welt. Er kann sich einfach nicht vorstellen, dass die Welt ohne ihn weiter bestehen kann. Bis zu einem gewissen Grad haben alle Menschen den Wunsch ewig zu leben, und wenn schon nicht ewig, so doch so lange wie möglich und das auch noch bei jugendlichem Aussehen.

Die dritte Illusion ist jene allmächtig zu sein. Viele Menschen glauben im Grunde nicht daran, als Mensch beschränkt zu sein. Der kindliche Zauberglaube ist nie ganz auszulöschen. Selbst heute noch gibt es viel Aberglaube, magische Ritualen, Brimborium, irrationale Vorstellungen etc. durchziehen auch heute noch die Gesellschaft. Es scheint so zu sein, dass es irgendwo einen „Trick“ geben müsse, dann würde sich offenbaren, dass wir Menschen im Grunde viel größere Wesen seien, wie wir landläufig glauben. Das Kind mag seine Allmachtsphantasien haben, als Erwachsener wird es lächerlich noch daran zu glauben.

Jeder kann selbst, wenn er sich unsere Welt ansieht, feststellen, wie sehr diese drei Illusionen bei den Mitmenschen, aber auch bei sich selbst (in vielen Fällen), anzutreffen sind. Ich unterlasse es hier auch Gedanken über die Gesellschaft als ganzes zu äußern. Das habe ich schon oft genug getan und das werde ich auch noch öfters tun, doch hier möchte ich die drei Illusionen einfach nur vorgestellt haben. Es obliegt nun jedem selbst, sich ein genaues Bild zu machen.