Mittwoch, 16. Juni 2010

Abraham Lincoln (1809 – 1865)

Wenn es einen Menschen gibt, der für zähes Durchhaltevermögen bekannt wurde, einer, der unter permanenten Misserfolgen zu leiden hatte, im geschäftlichen, politischen und privaten Bereich und am Ende zum größten Triumphator wurde, dann ist es der sechzehnte Präsident der Vereinigten Staaten, Abraham Lincoln. Lincoln wuchs als Sohn eines Pioniers im rauen Hinterland von Indiana auf, erhielt kaum eine formales Schulbildung, und brachte sich den größten Teil seiner Kenntnisse und Fähigkeiten selbst bei. Harte Arbeit, unvorteilhafte Lebensumstände und ein ständiger Kampf kennzeichneten nicht nur seine frühen Jahren, sondern blieben ein beständiges Muster über sein ganzes Leben hinweg.

Er stand schon sehr früh auf einen Beinen, arbeitete an verschiedenen Stellen (selbstständiger Händler, Betreiber einer Mühle und Postmeister) und erkundigte in dieser Zeit auch weite Teile des Mississippi bis hinunter nach New Orleans (er baute sich selbst ein Floß, mit dem er auf dem Fluss bis in den Süden fuhr). Nebenbei brachte er sich die Rechte bei und arbeitete bald als Anwalt. Er ließ sich in Springfield, Illinois, nieder und heiratete Mary Todd. Die Ehe war sehr stürmisch, aber keine Tragödien, wie später oft vermeint wurde. Er erlitt einige geschäftliche Pleiten, arbeitete sich jedoch jedes Mal mit aller Kraft wieder heraus. Als Anwalt hatte er lange nur mittelmäßigen Erfolg.

1847 wurde er zum ersten Mal in den Kongress nach Washington gewählt. In dieser Zeit als Politiker erwarb er sich den Ruf der Ehrlich- und Verlässlichkeit. Jedoch verlor er die nächste Wahl und kehrte wieder in die Provinz als Anwalt zurück. 1854 hielt er in Louisiana seine erste berühmte Rede gegen die Sklaverei, in der er sie als Eigensucht der menschlichen Natur bezeichnete, die nicht von Liebe und Gerechtigkeit getragen werde. 1856 schloss sich Lincoln den Republikanern an und führte landauf landab einen heftigen Wahlkampf. Zur damaligen Zeit war es üblich sich stundenlang in den verschiedenen Städten vor großem Publikum verbal (manchmal auch körperlich) zu streiten. Die Aufnahmefähigkeit, auch der einfachen Leute, jener Zeit war bemerkenswert. So konnten viele Menschen weder lesen, noch schreiben, doch konnten sie sich die Argumente der verschiedenen Kandidaten über viele Stunden hinweg merken. So kam es oft vor, dass ein Streitgespräch, das am frühen Nachmittag begann, bis zum Abend dauerte. Zwischendurch wurde für eine Stunde unterbrochen, während deren die Zuhörer nach Hause gingen, um ihr Abendmahl einzunehmen. Später kamen sie zurück, um der Diskussion bis zur späten Nachtstunde zu folgen. Man stelle sich das heute vor! Politik besteht ja größtenteils nicht mehr aus ernsthaften Auseinandersetzungen, sondern aus Show, Bluff und Schwindel. Selbst die „Diskussionen“ von heute, verdienen diese Bezeichnung nicht mehr. Meist geht es nur darum, wer den anderen „niedergemacht“ hatte, nicht, wer am ehrlichsten war oder wer die besten Argumente vorzuweisen hatte.

1960 wurde Abraham Lincoln Präsidentschaftskandidat der Republikaner und gewann die Wahlen im November dieses Jahres. Die Frage der Sklaverei beschäftigte die Nation bereits sehr heftig und drohte immer mehr die Einheit der Nation zu gefährden. Bereits in seiner Inaugurationsrede wies Lincoln darauf hin, dass die Bewahrung der Einheit der Vereinigten Staaten das wesentliche Anliegen seiner Präsidentschaft sein werde. Nach seiner Amtseinsetzung kam es bald zur Abspaltung von South Carolina und fünf weiteren Staaten von der Union. Der Angriff der Südstaaten auf Fort Sumter (das von Lincolns Truppen gehalten wurde) in South Carolina im Frühjahr 1861, eröffnete formell den Amerikanischen Bürgerkrieg. Der Krieg begann immer heftiger zu werden. Nach anfänglichen Erfolgen des Südens, wendete sich das Blatt immer mehr zugunsten des Nordens. Dieser hatte den Vorteil bereits stärker industrialisiert zu sein und immer neue Einwanderer aus Europa sorgten für einen ungebrochenen Zustrom an neuen Truppen. Am 1. Jänner 1863 brachte Lincoln seine berühmte Emanzipationsproklamierung heraus, die nun die Frage der Sklaverei richtig in den Krieg einbrachte. Bisher lag das Schwergewicht auf der Bewahrung der Einheit der Nation, zu der sich Lincoln ja als Präsident per Eid verpflichtet hatte. Die Abschaffung der Sklaverei wurde als 13. Zusatz der Verfassung hinzugefügt. 1864 wurde Lincoln wieder gewählt und beendete im darauf folgenden Jahr den Bürgerkrieg erfolgreich. Jetzt ging es ihm vor allem darum die Wunden des Krieges zu „verbinden“ und für eine rasche Heilung der Nation zu sorgen. So betrachtete er die Bürger der Südstaaten nicht als die früheren Feinde, sondern als Brüder, die sich verirrt hatten und nun wieder in den Schoß der Familie zurückkehrten. Am 14. April 1865 wurde Abraham Lincoln von John Wilkes Booth, eine fanatischen Südstaatler, im Ford-Theater in Washington erschossen.

Lincoln gilt als einer der moralisch integersten Menschen, die je gelebt haben. Nie hatte er ein böses Wort für andere, auch für seine Feinde, nicht. Berühmt geworden ist die folgende Anekdote. Der Kriegsminister kritisierte einst Lincoln heftig und bezeichnete den Präsidenten in privatem Rahmen als entscheidungsschwach und als unfähigen Kriegsherrn, dabei verwendete er einige persönliche Untergriffe und Beleidigungen. Als Lincoln von dem Vorfall berichtet wurde, sagte er nur: „Mr. X (Name des Kriegsministers) ist der beste Minister den dieses Land jemals hatte, ich habe vollstes Vertrauen zu ihm:“ Niemand konnte Lincoln dazu bringen, sich zu vergessen oder zu unmoralischem Handeln zu bewegen. Oft wurde Lincoln vorgeworfen, langsam in seinen Entscheidungen zu sein, doch in Wirklichkeit konnte er die Dinge nur tiefer erfassen als andere Menschen und hatte einen größeren Überblick über das Gesamtbild. Lincoln war von der Idee geleitet, dass eine richtige Entscheidung nicht nur temporär korrekt sein konnte, sondern auch aus der Sicht der Nachwelt richtig sein sollte, also richtig sub species aeternitatis.

Lincoln war es, der einen Menschen völlig vorurteilslos beurteilen konnte. Seine vielen negativen Erfahrungen mit Menschen, hatten ihm eine bewundernswerte Menschenkenntnis verschafft. Anstatt hart und bitter zu werden, wie es bei den meisten Menschen mit seiner Lebensgeschichte der Fall gewesen wäre, entwickelte Lincoln einen besseren Blick für die Realität. Nicht Misstrauen, sondern richtiges Vertrauen gegenüber den moralisch integeren und den fähigen Leuten, wurde ihm zum Prinzip. So lehnte er oft den Rat seine Berater und Militärs ab und entschied sich für den unsozialen aber fähigen Außenseiter, um ihm eine wichtige Mission zu übertragen. So geschah es, dass er Ulysses S. Grant das Oberkommando über die Truppen im Bürgerkrieg übertrug. Grant galt als Außenseiter und Säufer, den das Establishment in Washington als unmöglich betrachtete. Doch Lincoln sah in ihm den fähigsten Mann, den er für diesen Job finden konnte, der einzige, der den Mut hatte die richtigen, aber unpopulären Dinge zu tun. Und wie man sehen sollte, hatte er mit dieser Einschätzung absolut Recht. Lincoln galt als „einfacher, ehrlicher Mann von Lande“, eine moralische Vaterfigur. Doch unter dieser einfachen Oberfläche steckte ein kluger Kopf, dessen tiefe Gedankengänge von seiner Umwelt nicht erkannt wurden. Jedenfalls war Lincoln in seinem Betragen alles andere als ein Aristokrat. So erreichte er das Herz der einfachen Leute aber auch den Respekt der Oberschicht in den Städten der Ostküste.

Die berühmteste Rede Lincolns hielt er am 19. November 1863 nach der großen Schlacht in Gettysburg. Sie war so kurz, dass der Fotograph, der den Präsidenten ablichten sollte, nicht einmal sein Gerät fertig aufgestellt hatte, als sie bereits beendet war. Ich drucke den Text hier im Original ab:

„Fourscore and seven years ago our fathers brought forth on this continent a new nation conceived in liberty and dedicated to proposition that all men are created equal. Now we are engaged in a great civil war testing whether that nation, or any nation so conceived and so dedicated, can long endure. We are met on a great battlefield of that war. We have come to dedicate a portion of that field as a final resting-place for those who here gave their lives that that nation might live. It is altogether fitting and proper that we should do this. But in a larger sense, we cannot hallow this ground. The brave men, living and dead, who struggled here have consecrated it far above our power to add or detract. The world will little note nor long remember what we say here, but it can never forget what they did here. It is for us the living rather to be dedicated here to the unfinished work which they who fought here have thus far so nobly advanced. It is rather for us to be here dedicated to the great task remaining before us – that from these honoured dead we take increased devotion to that cause for which they gave the last full measure of devotion – that we here highly resolve that these dead shall not have died in vain, that this nation under God shall have a new birth of freedom, and that government of the people, by the people, for the people, shall not perish from the earth.”

Lincoln war die Art von Politiker, die man heute kaum mehr antrifft. Aber weit über den politischen Bereich hinaus, ist Lincoln ein leuchtendes Beispiel dafür, dass sich Integrität auszahlt, dass es im Leben darum geht das Richtige zu tun, völlig unabhängig davon, welche Vor- oder Nachteile man sich dadurch zuziehen mag. Lincoln ist eine Laterne der Hoffnung in einer Welt der Dunkelheit und damit strahlt er weit über das 19. Jahrhundert hinaus, bis weit in das dritte Jahrtausend hinein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen