Wie ich bereits in meinem letzten Eintrag (Sonntag 2. Mai) geschrieben habe, gibt es drei Möglichkeiten, wie der Mensch auf die Frage nach dem Sinn des Lebens antworten kann. Ich möchte mich heute besonders mit der Antwort des Glaubens beschäftigen und zwar nicht in dem Sinne, dass es um einen bestimmten Inhalt des Glaubens, ein bestimmtes Bekenntnis, gehen soll, sondern um das Phänomen des Glaubens selbst. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass es sich beim Glauben um ein Phänomen handelt, denn alle Zeiten und alle Orte haben es gekannt und treffend sagte bereits der antike Orator Cicero, dass es ein nicht glaubendes Volk noch nie gegeben habe. Wo immer es Menschen gab, da hat man auch geglaubt. Doch, was ist glauben eigentlich? Wie entsteht er?
Kritiker des Glaubens führen verschiedene Punkte auf, die ihrer Meinung zutreffen. Da gibt es einerseits die Ansicht Glauben sei kindisch, unwürdig des Erwachsenen und vor allem modernen Menschen des 21. Jahrhunderts. Die Unfähigkeit zu glauben führt dann oft zur Gleichgültigkeit oder entschiedener Ablehnung des Glaubens. Auch ist es möglich, dass die eigene Überheblichkeit Glauben nicht zulässt, denn man denke nur an die Regeln der Religionen. Wenn nämlich die Bücher des Glaubens, Gottes Wort sind und vollkommen zutreffen, dann hat dies enorme Konsequenzen für den Menschen und seine Art zu leben und gar viele würden wohl nicht bestehen können. Viele Menschen haben ein persönliches Interesse daran, dass diese Schriften nicht wahr sind. Atheismus kann auch aus dem Wunsch entstehen, dass es Gott nicht geben möge (Sartre sagte etwa: „Wenn Gott existiert, ist der Mensch ein Nichts:“).
Am Beginn steht der Begriff „Glauben“ selbst. In der heutigen Zeit wird das Wort „glauben“ viel zu häufig für Dinge verwendet, die dem eigentlichen Sinn dieses Wortes nicht entsprechen. Meist wird damit „vermuten“ oder „annehmen“ gemeint, auf diese Weise ist glauben aber weniger als wissen. Denn „glauben“ ist dann eine Sammelbezeichnung für die Dinge, die man nicht weiß, die man aber, aus welchen Gründen auch immer, für richtig hält. Wahrer Glaube jedoch übersteigt das Wissen bei weitem, denn niemals wird beim Glauben der Verstand ausgeschaltete, niemals heißt Glauben Nicht-Denken! Im Gegenteil, gerade beim Glauben wird gedacht. Allerdings ist es damit nicht getan. Glauben ist eine ganzheitliche Erfahrung, die Denken, Fühlen und Wollen miteinschließt. Im Ergebnis ist der Glaube ein Geschenk, das der Mensch nur erhält, wenn er eine gewisse Demut walten lässt. Niemals kann Glauben erzwungen werden. Auch kann kein Mensch den anderen glaubend machen. Deshalb sprechen verschiedene Religionen auch davon, dass Gott im Menschen den Glauben erwecke. Tut er dies nicht, so kann der Mensch nicht glauben.
In gewisser Weise leben Menschen die glauben und solche, die nicht glauben, nicht in derselben Welt. Zwischen Glauben und Nichtglauben gibt es einen Graben, der nicht einfach überbrückt werden kann. Für den Nichtglaubenden ist der Gläubige ein Rätsel. Es ist so, als ob ein „Schalter“ in ihm umgelegt wurde und sich eine Gewissheit eingestellt hätte, die nicht zu erklären ist. Sämtliche Erklärungsversuche laufen ins Leere, es sei denn man begnügt sich mit ein paar vorgefassten Ansichten, wie dass solche Leute wohl verrückt sein müssten. Doch kennt jemand eine Person aus persönlicher Erfahrung, die lange Zeit ihres Lebens nicht glaubend war und plötzlich glaubt, so kann man nicht einfach auf so eine „leichte Lösung“ zurückgreifen. Der Mensch hat sich nicht zurückentwickelt oder ist aus der Welt geflohen, sondern er hat einen Quantensprung gemacht, der dem anderen unbegreiflich bleibt.
Problematisch ist natürlich der unvollständige Glaube und auf ihm beziehen sich auch allerhand Kritiken. Ein nicht entwickelter Glaube ist leicht Aberglaube oder Irrglaube. Oft finden sich hier hartherzige Menschen, die mit aller Gewalt anderen ihr Weltbild aufdrücken wollen. Solche Irrgläubigen dienen dann als abschreckendes Beispiel für die Nichtgläubigen und der Glaube selbst kommt in Verruf. Wer aber nach dem Glauben fragt, der befindet sich bereits auf dem Weg zum Glauben, alles beginnt mit der Frage. Selbst der entschieden Nicht-Gläubige ist meist einer, der sich zutiefst nach dem Glauben sehnt aber kein Vertrauen fassen kann.
Der Anfang des Glaubens ist immer ein Öffnen für das Unbegreifliche, dies umfasst einerseits den Willensentschluss sich darauf einzulassen, andererseits die intellektuelle und emotionale Bereitschaft zu empfangen. Auch im Alltag kennt der Mensch den Glauben, zum Beispiel den Glauben an einen anderen Menschen. Wir brauchen das Vertrauen in andere Menschen, ansonsten könnte keiner von uns leben, ja wir wären nicht einmal auf die Welt gekommen. Der Glaube aber, von dem hier die Rede ist (religiöser Glaube) entsteht aus der Begegnung mit der Gottheit. Der Mensch weiß um die Gottheit, doch kann er sie „nicht schauen“, wie es die Bibel ausdrückt. Trotzdem hat der Mensch eine höhere Gewissheit, die weit über das hinausgeht, was er sonst an Gewissheiten kennt. Der Glaube ist nicht unvernünftig! Im Gegenteil: Der Glaube ist eine höhere Qualifikation von Vernunft, die das ganze Wesen des Menschen einschießt. Deshalb handelt es sich dabei auch um eine „leibhaftige“ Erfahrung und nicht um einen abstrakten Gedanken. Durch den Glauben wird Gott von einem metaphysischen Begriff zu einer real erfahrbaren Person. Man ist nicht mehr alleine, es steht einem ein „Du“ gegenüber, ein „Vater“, wenn wir im christlichen Sinne sprechen wollen. Weil der Mensch den Glauben nicht selbst herbeiführen kann, weil er nicht glauben kann, wenn er es sich auch noch so sehr wünschen mag, spricht man auch von der „Gnade“ glauben zu können.
Am Anfang des Glaubens steht das Denken, das vernunftmäßige Durchdenken. Darauf folgt die Entscheidung sich einzulassen und dann kommt der entscheidende Schritt, des sich Fallenlassens. Der Mensch besitzt einen freien Willen und dieser umfasst auch, dass er die Entscheidung gegen den Glauben treffen kann. Es steht im frei, sich nicht auf den Glauben einzulassen. Drum gibt es auch keinen Glauben ohne Willen.
In der Geschichte gibt es die unterschiedlichsten Schilderungen von Menschen, die plötzlich zum Glauben gebracht wurden. Einerseits gibt es die übernatürlichen Erscheinungen, wie sie die Bibel schildert (Saulus auf dem Weg nach Damaskus), Bekehrungen wie wir sie von Augustinus kennen, dramatische Ereignisse wie Krieg, Verwundungen, Verlust, Leid, die zum plötzlichen Glauben geführt haben. Bei den meisten Menschen geht dem Glauben jedoch eine längere Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens voraus. Es wird viel nachgedacht, gelesen, Vorträge und Seminare besucht. Die Suche wird sehr ernsthaft und intensiv betrieben. Mitunter kann das Verlangen nach Sinn derart groß sein, dass ein gewöhnliches Leben gar nicht mehr möglich ist, bis der Hunger danach gestillt wurde. Die inneren Kämpfe, die einer hier auszufechten hat, sind nicht zu unterschätzen, derjenige, der zum Glauben gelangt wird wiedergeboren und ist danach ein völlig anderer Menschen. Am Alten kann nicht mehr festgehalten werden. Der Mensch verändert sich in seiner Gesamtheit, denn der Glaube ist nicht ein zusätzlicher Aspekt des Lebens, sondern das Leben selbst in allen Bereichen. Deshalb kann Glaube auch niemals Privatsache sein, er wird das Wesen des Menschen in allen Bereichen durchdringen und keine Entscheidung, keine Wahl, wird davon nicht tangiert werden. Irgendwann trifft der Mensch dann oft die Entscheidung sich einzulassen und von der bloßen Annahme einer Gottheit zur realen Erfahrbarkeit zu gelangen, indem der eigene Wille zurücktritt und sich die Bereitschaft für „dein Wille geschehe“ einstellt. Dann aber braucht es des Mutes, denn dieser nächste Schritt ist ein Sprung in die Leere, in den Abgrund ohne Boden, ein tiefes Vertrauen ist dafür nötig.
Eines muss hier noch erwähnt werden, nämlich dass der Glaube sich auch mit dem Lebensalter verändert. Der Glaube des Alters ist nicht derselbe, wie der Glaube des Kindes oder des Heranwachsenden. Entwickelt sich der Glaube nicht mit dem Lebensalter mit, dann kann er wirklich kindisch erscheinen. So kann es durchaus vorkommen, dass ein Erwachsener spirituell noch den Glauben des Kindes hat und somit auch seiner Umgebung als unreif erscheint. Der Glaube spielt in die Lebensfragen hinein und ein nicht entwickelter oder stehen gebliebener Glaube, ist deshalb auch den Lebensaufgaben des Erwachsenen nicht gewachsen. Daraus aber den Schluss zu ziehen der Glaube selbst sei untauglich, wäre vermessen. Glauben entwickelt sich in jedem selbst und ist immer auch eine individuelle Angelegenheit, insofern, als zwischen der Gottheit und dem Menschen ein persönliches Verhältnis besteht und sich insbesondere die individuelle Mission des Menschen in der Welt aus dieser Beziehung ableitet. Der Glaube wächst aus den eigenen Erfahrungen und dem intensiven Nachdenken über den Glauben und die Glaubensregeln. Deshalb auch das Gebet. Gebet ist ein Gespräch mit der Gottheit, aber es ist mehr als ein Loben, Bitten oder Danken. Niemals ist es naives Anrufen einer Ungewissheit, derjenige, der solches tut, der ist im Glauben noch nicht angekommen und unterscheidet sich kaum von den primitiven heidnischen Gläubigen, die der Natur selbst Heilkraft zuschreiben und für die die Gottheit in irdischen Hüllen wohnt (Götzen).
Möglicherweise ist der Glaube Teil eine höheren Ganzwerdung der Menschen, auf dem Weg der Vervollkommnung durch Gott, ein Schritt weiter über das hinaus, was die Menschen waren, bevor zum ersten Mal der Funke des Glaubens in einem Menschen sich entfachte. Der Glauben ist nicht nur nicht unvernünftig, sondern überhaupt das Vernünftigste, was der moderne Mensch tun kann (Chesterton), bedenkt man den Hunger nach Sinn, der ja kein Fehler, sondern ordentlicher Bestandteil der Natur des Menschen ist. Deshalb konnte der Heilige Augustinus auch sagen: „Herr, du hast uns zu dir hin erschaffen und unser Herz ist unruhig, bis es weilt in dir.“
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