Montag, 6. September 2010

Michel de Montaigne (1533-1592)

Mit Michel de Montaigne begegnen wir einem der größten Denker des 16. Jahrhunderts, einem der bedeutendsten Franzosen überhaupt und einem Philosophen, der immer bodenständig blieb und der höchsten Wert auf die praktische Anwendbarkeit seiner Überlegungen legte. Seine Gedanken entstanden denn auch größtenteils aus der Beobachtung des Lebens, oft von recht einfachen Menschen, die er, obwohl aus dem Adel stammend, nicht geringer schätzte, als die „Edlen“. Sein tief humanistisches Denken bereitete unter anderem der Aufklärung den Boden. Viele seiner Ideen waren zu seiner Zeit bereits revolutionär und sind es bis heute geblieben. In Montaigne begegnet uns ein Freund und Vorbild, der uns praktisch in bedeutenden Lebensfragen beraten kann und praktikabel Lösungen anbietet.
Montaigne kam aus einer Kaufmannsfamilie, die erst vor kurzem zu großem Reichtum gelangt war. Der Vater kaufte östlich von Bordeaux das Schloss Montaigne, nachdem sich das Geschlecht nun auch benannte. Der vormalige Familienname lautete Eyquem. Der Vater begleitete den französischen König nach Italien und kam dort mit den Ideen der Renaissance in Berührung. Voller Begeisterung übernahm er selbst die Erziehung seines Sohnes Michel und ließ diesen Latein nach der Naturmethode erlernen. Bald sprach Michel diese Sprache genau so gut, wie seine Muttersprache und es wird berichtet es sei sogar vorgekommen, dass er in Erregung auf Lateinisch geflucht habe. Er wurde weiter in Bordeaux und Toulouse ausgebildet und etablierte sich als junger Mann als Rechtsanwalt. 1565 heiratete er. Aus der Ehe entsprangen sechs Kinder, von denen jedoch nur eines überlebte. 1568 starb Michels Vater und Michel erbte dessen Schloss und sonstige Besitzungen. Im Alter von 38 Jahren zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück und widmete sich fortan dem Studium des Lebens, vor allem seines eigenen. Montaigne ist denn auch ein untypischer Philosoph, nicht nur insofern, als er sich genau so der Körperlichkeit des Menschen widmete, wie seines Geistes und praktische Ratschläge erteilte, sondern auch darin, dass er uns in seiner Philosophie am meisten über seine eigene Person berichtet.
Ab 1580 machte er Reisen nach Deutschlang und Italien. In dieser Zeit, trotz seiner Abwesenheit, wurde er zum zweiten Mal zum Bürgermeister von Bordeaux gewählt. Ab 1585 arbeitete er an seinen „Essais“ und lebte, so ruhig und zurückgezogen wie möglich, auf seinem Schloss. Er war ein Mann von rastlosem Bestreben, der stets bereit war alles zu hinterfragen; er konnte sich nicht mit einer fertigen Meinung begnügen, die er nicht bis in alle Einzelheiten untersucht hatte. Die Frage, die er sich ständig stellt lautete: „Was weiß ich?“; Damit trat er an die Welt und ihre Meinungen heran.
Montaigne untersuchte das Leben und stellte fest, dass der Mensch sich oft minderwertig fühlten und zwar aus drei Gründen: 1.) körperliche Nachteile, wie etwa Hässlichkeit, Übergewicht, Körpergröße oder andere Mängel, 2.) durch die Meinung anderer Menschen, die uns für ungenügend halten und 3.) durch das Gefühl mit dem Verstand einer Sache nicht gewachsen zu sein, das Empfinden von intellektuelle Minderwertigkeit.
Montaigne akzeptierte die Natur des Menschen und wies darauf hin, dass der Mensch viel Tierisches an sich hat und dass dies nichts Schlechtes sei, vor allem die Sexualität und die Geschlechtsteile sah er als positiv an. Wir sollten beim Körperlichen die Tiere zum Vorbild nehmen, die sich niemals schämen würden, sich niemals minderwertig fühlten, egal wie auch immer sie aussehen mögen. Das Schlimmste, was ein Mensch tun kann, ist sich selbst zu verachten, leider eine Fähigkeit des Geistes, der sich gegen seinen Körper stellen kann. Bis zu Montaigne glaubten Philosophen, dass der Mensch glücklich werden könne, weil er denken kann, weil er einen Geist hat. Montaigne hingegen fand heraus, dass gerade der Geist die Ursache für das Unglück des Menschen werden kann, vor allem durch die Erschaffung von innerer Idealvorstellungen und durch Vergleiche mit anderen, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen und sehr leicht zum Empfinden von Minderwertigkeiten führen kann. Das nächste Problem des Geistes ist, dass er sich einbilden kann, dass er wüsste, was richtig ist, uns arrogant macht und uns dazu bringt diese Ansicht auf andere Menschen zu übertragen, sie dazu zu bringen, die Welt so zu sehen, wie wir es tun.
Jede Kultur hat ihre Ansichten darüber, was normal ist, davon abzuweichen bringt einen sehr schnell in Konflikt mit ihr. Menschen entscheiden sehr schnell und ohne Reflexion, was richtig ist und was nicht und verfolgen die Nichtkonformen. Vorurteile bekämpft man sehr gut dadurch, dass man auf Reisen geht und sich andere Kulturen ansieht. So sieht man, dass „normal“ ein völlig relativer Begriff ist. Durch Reisen sieht man klarer, wie der eigene Glauben sich gebildet hat und wie er entstanden ist. Wenn man mit Vorurteilen anderer konfrontiert ist, ist Reisen eine gute Hilfe.
Wenn man sich minderwertig fühlt aufgrund dessen, was andere Menschen von einem denken, dann empfiehlt Montaigne, dass man sich die entsprechenden Personen auf der Toilettenschüssel vorstellt. Auch wenn einer auf dem Thron sitzt, sitzt er immer noch auf dem Hintern.
Montaigne kritisiert auch die Ansicht, dass akademische Qualifikation etwas mit Weisheit zu tun hat. Das Schulsystem belohnt das Lernen, nicht Weisheit. Es ist sehr leicht möglich dass einer völlig unweise ist, aber mehrere Doktortitel besitzt, genau so wie einer niemals eine höhere Schule besucht haben kann, aber sehr weise ist. Eine Dummheit unserer Gesellschaft ist es, dies nicht zu glauben und aus Titel und Auszeichnungen auf Fähigkeiten zu schließen. Es wird so verständlich, dass Menschen eher nach akademischer Qualifikation, als nach echter Weisheit streben. Ein Großteil der Akademiker ist nicht an der Wahrheit, sondern an Erfolg, Reichtum und Ansehen interessiert und dazu bedarf es keiner Weisheit.
Gegen die dritte Art von Minderwertigkeit, die intellektuelle wirken diese Überlegungen sehr gut. Jeder Mensch hat die Fähigkeit zu denken, jeder kann ein Philosoph sein, das heißt ein Mensch der seinen Verstand verwendet und durch Denken sich Freiheit von der Meinung anderer verschafft. Wer selbständig denken kann, der fühlt sich sicherer mit sich selbst und bedarf der Zustimmung der anderen nicht. Der Dumme braucht immer die anderen und ist deshalb der Sklave der Gesellschaft und ihrer Autoritäten.
Ein berühmtes Zitat von Montaigne lautet: „Ruhm und Geistsruhe können niemals Bettgenossen sein.“


Fragen zur Weisheit (meine Fragen, nicht diejenigen Montaignes):

• Sind die Gefühle und Gedanken anderer Menschen von Bedeutung?
• Wie wird ein Mensch glücklich?
• Was soll man tun, wenn man verärgert, frustriert oder traurig ist?
• Wie führt man gute Beziehungen? Wie baut man sie auf? Wie beendet man sie?
• Warum leben Menschen ihr Leben auf die Art und Weise, wie sie es jeweils tun?
• Ist es besser erfolgreich und unehrlich zu sein oder wahrhaftig dafür einsam, arm und erfolglos?
• Hat Bildung etwas mit Weisheit zu tun?
• Was ist ein wertvolles Leben?
• Gibt es Menschen, die anderen gegenüber höherwertig sind?
• Ist es richtig Dinge als wahr anzunehmen, obwohl der eigene Geist sie nicht beweisen kann? Was ist dann die Grundlage dieser Annahme? Kann man sie vor seinem eigenen Gewissen rechtfertigen?
• Zählen Sie drei Dinge auf, die Sie für wahr halten, die Sie aber nicht begründen können.
• Was ist das Gewissen des Menschen? Wie entsteht es? Soll man immer darauf hören?
• Was ist der Maßstab, nachdem man das Leben und die Welt bemessen soll?
• Gibt es in der heutigen Zeit noch eine Rechtfertigung für Autoritäten? Und wenn ja, welche?
• Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mehrheitsmeinung und Richtigkeit?

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