„Was der Mensch tut, das will er auch“. Auf diesen Umstand hat der Psychiater Alfred Adler immer wieder hingewiesen und für ihn war dies auch das entscheidende Kriterium der Beurteilung eines Menschen. Was zählt ist nicht, was ein Mensch über sich selbst meint, denn die Meinungen über sich selbst sind meist korrumpiert, anerzogen und haben wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Das einzig Wahre in Bezug auf die Beurteilung eines Menschen sind dessen Handlungen. Aus einer gewissen Anzahl von Handlungen, lässt sich auf den Lebensstil eines Menschen schließen und von diesem wiederum auf seine Einstellungen gegenüber sich selbst, den Mitmenschen und der Welt.
Nun fällt aber das, was ein Mensch bewusst von sich denkt, wobei es sich meist um das handelt, was man ihm als Kind beigebracht hat von sich zu denken, und dem, was ein Mensch wirklich (meist unbewusst) von sich hält, stark auseinander. Die Handlungen leiten sich, bis auf wenige Ausnahme, alle aus dem wahren Willen, der wahren Einstellung gegenüber sich selbst und die Welt ab. Weil aber so viele Handlungen, um nicht zu sagen beinahe alle, ihren Ursprung im Unbewussten haben, ist es kein Wunder, dass der Mensch sich meist oft selbst das größte Rätsel ist. Wie ist es zu erklären, dass einer meint inkompetent zu sein, dabei jedoch hervorragende Leistungen erbringt, was ihm auch durch seine Umwelt bestätigt wird, das dann jedoch nicht zu einer Änderung der Meinung dieses Menschen führt?
Täuschung funktioniert vor allem deshalb so gut, weil jede Gesellschaft darauf beruht, dass unter Erwachsenen jeder die Rolle akzeptiert, die er spielt, wenn dieser im Gegenzug die Rolle, die man selbst spielt annimmt. So leben wir in einer Welt von Schauspielern und wissen dies noch nicht einmal. Goethe und Shakespeare bemerkten beide, dass das Leben im Grunde nichts anderes als ein großes Theater sei, auf dem jeder manche Rollen spielt. Eric Berne („Spiele der Erwachsenen“) hat sich intensiv mit den „Spielen“ beschäftigt, die Menschen spielen. Diese sind verdeckte Transaktionen, die auf einem Schwindel beruhen, aber von beiden Seiten akzeptiert werden, da sie einen Spielgewinn daraus ziehen. So gibt es etwa ein Spiel mit dem Namen „Schlemihl“, das darauf beruht, dass einer ins Fettnäpfchen tritt, ein anderer sich darüber aufregt, der „Täter“ sich entschuldigt und diese Entschuldigung akzeptiert wird. Anders als bei einer echten Entschuldigung, handelt es sich hier jedoch um ein Verfahren, um sich nicht ändern zu müssen. Die Entschuldigung ist nur eine Spielhandlung, kein echtes Bereuen, in Wahrheit möchte, die sich entschuldigende Person dem anderen eins auswischen, darf seine Abneigung jedoch nicht offen zeigen (meist durch einen Kindheitsbefehl demzufolge er „nett“ sein zu muss). Deshalb wird dieser Umweg gewählt.
Spiele sind die intimsten Handlungen, zu denen die meisten Menschen fähig sind, da echte Intimität den meisten in der Kindheit aberzogen wird und sie somit für den Rest ihres Lebens dazu nicht mehr in der Lage sind (von entsprechenden therapeutischen Interventionen einmal abgesehen).
Wenn objektives Leben und bewusste Einstellung dazu nicht kongruent sind, dann liegt dieser Unterschied im Unbewussten. An das Unbewusste kommt man jedoch nicht ohne weiteres heran. Meist bedarf es dazu der Hilfe von anderen. Was sich durch ein wenig Nachdenken ins Bewusstsein befördern lässt, ist nicht unbewusst, sondern lediglich vorbewusst. Methoden um an das Unbewusste heran zu kommen sind etwas nach der klassischen Psychoanalyse die Freie Assoziation, die Traumdeutung und die Analyse der fehlerhaften Handlungen des Lebens des Klienten.
Freuds Erkenntnis, dass ein großer Teil des Lebens des Menschen nicht durch das Bewusstsein gesteuert wird, braucht uns nicht unbedingt zu beunruhigen. Lebenserfolg hängt recht wenig von der Kontrolle, als viel mehr von der Flexibilität (im Geiste) ab, mit der man in die Lage versetzt wird im jeweiligen Augenblick das „Richtige“ zu tun. Zwar ist noch niemals eine Gesellschaft darauf ausgerichtet gewesen, dass ihre Mitglieder dazu in die Lage versetzt worden wären (vor allem durch Sozialisation) – auch in Zukunft ist dies nicht zu erwarten – doch für den einzelnen gibt es Hoffnung, für die Gesamtheit der Menschen wahrscheinlich nicht. Ich denke dies ist Ansporn genug seine Energie auf sich selbst zu richten und nicht in der Welt sich sinnloser Zerstreuung hingeben. An der Wirklichkeit zu verzweifeln ist leicht, doch sie zu akzeptieren und die Änderungen in einem selbst vorzunehmen sehr schwer. Abraham Maslow hat in den 50er und 60er Jahren Untersuchungen über so genannte „Selbstverwirklichende Menschen“ angestellte und dabei unter 3000 College-Studenten keinen gefunden, der dafür getaugt hätte. Eine seiner Schlussfolgerungen daraus war, dass (psychisch) völlig gesunde Menschen in jungen Jahren nicht anzutreffen sind und sich allenfalls, wenn auch selten genug, solche Individuen erst in fortgeschrittenem Alter anzutreffen sind. Meine persönliche Beobachtung kommt zum selben Schluss. Nie habe ich jemanden unter 40 getroffen, der frei von Psychosen, Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen gewesen wäre. Die Wunden der Kindheit heilen schlecht, wenn überhaupt und von selbst geschieht dies niemals. Aber bei einzelnen Personen ist es gelungen, das erscheint mir zumindest bis zu einem gewissen Grad, Hoffnung zu rechtfertigen.
Vielleicht ist das, was die Buddhisten als „Erleuchtung“ bezeichnen, die Auflösung des Unbewussten und der Übertrag aller Informationen aus demselben in das Bewusstsein? Eine Überlegung ist es allenfalls wert.